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Hieronymus Linder
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Der 11. September 1709 ist einer der blutigesten Tage der Schweizer Geschichte. Tausende verloren in Nordfrankreich ihr Leben. Zugleich offenbarte sich der Preis für den Drang nach Profit in den Kantonen der Eidgenossenschaft. Breitwillig liess man gegen Geld junge Schweizer in Kriegsdienste für fremde Herrscher treten. Soldaten waren ein Exportartikel der damaligen Schweiz.

Im Spanischen Erbfolgekrieg 1701-1714 kämpften auf beiden Seiten Schweizer Soldregimenter. Am 11. September trafen einige von ihnen bei Malplaquet aufeinander. Rund 170'000 Mann standen sich südlich von Mons gegenüber. Die französischen Streitkräfte unter Marschall Claude Louis Hector, Duc de Villars (1653-1734) hatten sich in Feldbestigungen verschanzt.

Die Alliierten unter John Churchill, dem Duke of Marlborough (1650–1722) und Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736) wollten am diesem Mittwochmorgen die französischen Linien durchbrechen und den Gegner aus seinen Stellungen werfen. In Marlboroughs internationalem Heer standen am linken Flügel unter Prinz Johann Wilhelm Friso von Oranien (1687-1711) die niederländischen Truppen.

Mit den Niederländern marschierten an diesem Morgen sechs Schweizer Soldregimenter. Es war nichts ungewöhnliches, Schweizern in fremden Diensten zu begegnen. Als der Krieg 1701 ausbrach, dienten 24'600 dem französischen König. Bei den Alliierten standen 11'200 in niederländischen, 5'400 in spanischen, 4'800 in österreichischen Diensten und 4'800 in jenen von Savoyen.

portrait hieronymus linder

Generalmajor Hieronymus Linder aus Basel im Dienste der Niederlande | nach einem Portrait von Johann Niklaus Grooth.

Ein Waisenknabe geht zur Armee

In einem Schweizerregiment des Prinzen von Oranien schritt auch Hieronymus Linder (1682-1763) als Offizier den französischen Linien entgegen. Geboren als Sohn eines Goldschmieds, wurde er früh als Waisenkind nach Rotterdam geschickt um Kaufmann zu werden. Er wählte aber einen anderen Beruf und ging mit Sechzehn zur Armee der Generalstaaten der Niederlande.

Als Kadett tat er Dienst ein einem Regiment das von Albrecht Friedrich von Brandenburg (1672-1731) kommandiert wurde. Wie Linders Epitaph im Basler Münsterkreuzgang verkündet, machte er seinen Weg durch Tüchtigkeit ohne fremde Protektion. Nacheinander trug er den Rock eines Soldaten, eines Korporals und eines Fouriers. Schliesslich erlangte er den Rang eines Fähnrichs.

In den Spanischen Erbfolgekrieg zog Hieronymus Linder mit dem 1694 gegründeten Schweizer Regiment von Oberst Jean de Sacconay (1646-1729) aus dem Waadtland. Dieser hatte seine Laufbahn in der französischen Armee begonnen. Weil er sich aber weigerte, weiterhin die Verfolgung der protestantischen Hugenotten in Frankreich zu unterstützen, verliess er 1693 die Dienste des Königs.

De Sacconay lief in die Niederlande über, wo er 1697 ein Regiment erhielt das seinen Namen bekam. Als Brigadier schied er 1706 aus dem Dienst aus und wurde in der Heimat Generalmajor der Truppen Berns. Sein Regiment führte bei Malplaquet Antoine de Métral (auch "Mestral", geboren 1650). Es vereinigte Mannschaften aus Bern, Basel, Graubünden, Zürich und dem Waadtland.

Malplaquet 11. September 1709

Marlborough liess am Morgen des 11. September als Eröffnungsschlag den linken Flügel seiner Armee vorrücken; die Niederländer des Prinzen Wilhelm von Oranien. Durch den gelichteten Morgennebel gingen die niederländischen Regimenter voran. Ihnen folgten, gemessenen Schritts im Takt der Trommeln, die Schweizer Soldregimenter Chambrier, Schmitt, Hirzel, May, Stürler und Mestral.

Mit dem Regiment Mestral schritten Hieronymus Linder und seine Männern über das Feld, dem Wald von Lanière entgegen, an dessen Rand die französischen Feldbefestigungen lagen. Die Niederländer stiessen unter schweren Verlusten durch die erste Linie. Ihre Regimenter hatten so schwer bluten müssen, dass der Angriff nun stockte. Prinz Wilhelm von Oranien eilte nach vorne.

Der Prinz kam zu Oberst Gabriel von Mays (1661-1747) Schweizer Regiment und ergriff dessen Fahne um sie einem erneuten Angriff voranzutragen. Unter dem dumpfen Wirbel der Trommeln übernahmen die Schweizer nun die Spitze an Stelle der erschöpften Niederländer. Sie stiessen durch das französische Musketenfeuer auf die nächsten feindliche Linie im Wald vor.

Linders Regiment marschierte mitten in ein Inferno. Im Nahkampf wurden die französischen Regimenter Navarra und Piedmont in die Flucht geschlagen. Der Durchbruch schien zum Greifen nah; doch plötzlich folgte ein Stillstand. Durch den Pulverdunst konnten die Schweizer des Prinzen von Oranien rote Uniformröcke beim Feind zu erkennen - das Schlimmste war eingetreten.

Brudermord

Die roten feindlichen Röcke die vor Hieronymus Linder und seinen Kameraden auftauchten waren jene der Schweizerregimenter des französischen Königs. Die Brigade von Johann Rudolf May (1652-1715) im Solde Frankreichs stoppte den Vormarsch. Er war ein Verwandter von Gabriel von May, dessen Regimensfahne auf der niederländischen Seite der Prinz von Oranien ergriffen hatte.

Berner und Waadtländer, teils aus den selben Dörfern stammend, standen jetzt im erbitterten Nahkampf miteinander. Es war der reinste Brudermord. Die Rotröcke hielten stand und der niederländische Angriff erlosch in einem Meer aus Blut. Hieronymus Linder wurde zweimal verwundet. Sein Regiment sollte nach dem Gefecht nur noch ein schwacher Schatten seiner selbst sein.

Nach grauenhaftem Kampf zogen sich die Schweizer des Prinzen von Oranien zurück. Die Schlacht wurde an anderer Stelle gewonnen und Frankreich geschlagen. Die Verluste beider Seiten betrugen zusammengenommen 30'000 Mann. Das Regiment Mestral von Hieronymus Linder verlor 36 Offiziere und 585 Soldaten. Die Schweizer erlitten an diesem Tag Verluste von rund 8'000 Mann.

Die allierten Verluste waren so gross, dass der Duc de Villars nach seiner Niederlage in einem Brief an König Louis XIV. (1643-1715) voller Ironie schrieb, die Krone könne sämtliche Feinde als vernichtet betrachten, wenn Gott in seiner Güte den Waffen Frankreichs eine weitere solche Niederlage schenkte. Erst die Napoleonischen Kriege sollten Degleichen wieder hervorbringen.

Am Abend paradierten die alliierten Truppen vor Prinz Eugen und dem Duke of Marlborough. Es war ein bitterer Triumph der mehr gekostet hatte als er brachte. Mit den Schweizern defilierte auch Linders dezimiertes Regiment an den Feldherren vorbei. Seine Fahne wurde vom siebzehnjährigen François-Noé de Crousaz (1696-1768) getragen, der als einziger Offizier des Regiments unverwundet war.

das haus zur fortuna

St.Alban-Vorstadt 19 wo Linders 1743 erworbenes Oranienhaus stand. Heute das 1811 erbaute Haus zur Fortuna.

Heimkehr nach Basel

Für Hieronymus Linder ging der Krieg weiter. Am 24. Juli 1712 kämpfte er bei der Verteidigung von Denain. Die eingekesselte Besatzung musste sich den Franzosen ergeben. 5'000 Mann gingen in Gefangenschaft, unter ihnen auch Linder, dem bald eine besondere Aufgabe zukommen sollte. Ihm wurde die Aufsicht über die alliierten Kriegsgefangenen in Frankreich übertragen.

Seine neue Aufgabe brachte ihn an den Hof von Versailles wo er der königlichen Familie vorgestellt wurde. Mit dem Frieden von Utrecht wurde er aus dem Dienst entlassen und kehrte seine Heimatstadt Basel zurück. Hier heiratete er 1718 Judith Beck, die er aber schon 1721 zu Grabe tragen musste. Linder wurde das Amt eines Gouverneurs in Niederländisch-Guyana angeboten.

Er schlug den Posten aus, trat aber dennoch wieder in die Dienste der Niederlande. 1741 führte er eine Kompanie im Regiment Hirzel und er hatte zeitweilig eine eigene Basler Kompanie von 200 Mann unter sich. Es war ein bescheidenes Kommando und einer der Grossen war der Veteran nicht geworden. Doch er war reich an Lebenserfahrung und dachte an das Unvermeidliche.

Grosszügiges Testament

Im Jahr 1741 liess er in Basel ein Testament aufsetzen. Er war zu Ansicht gelangt, dass er ohne Erben sei und als ein Mann des Krieges die Vergänglichkeit des Lebens erkannt habe. Als armer Waisenknabe in die Fremde gezogen, bedachte er nun in seinem Testament die Armen der einzelnen Kirchgemeinden, das Waisenhaus und die Armenherbergen. Sie sollten kriegen was er hinterliess.

Für die Schüler des Gymnasiums auf Burg stiftete er 2000 Pfund mit deren Zinsen herausragende Schüler mit Büchern belohnt wurden. Der Zunft zu Hausgenossen spendete er 2000 weitere Pfund, wofür zu Ehren des niederländischen Erbstatthalters das Oranienmähli bis heute im Zunfthaus abgehalten wird. Ein letztes Legat ging an Verwandte, Bekannte und Dienstkameraden.

Oft als Offizier in der Fremde, erwarb sich Hieronymus Linder im Jahr 1743 als Alterssitz in Basel jene Liegenschaft in der St.Alban-Vorstadt, die heute die Hausnummer 19 trägt. Bekannt als "zur Fortuna", nannte Linder das Haus nunmehr "Oranienhaus". Stets wenn er in Basel weilte, war der alte Veteran dort anzutreffen. Er hatte damit nun immer ein Refugium in seiner Vaterstadt.

Die Schlacht bei Culloden

Die traditionelle Bindung zwischen England und den Niederlanden führte Linder als Kommandanten in die Dienste von König George II. (1683-1760) Die rebellischen Schotten unter Prinz Charles Edward Stuart (1720-1788) erhoben sich gegen England. In der entscheidenden Schlacht von Culloden siegten am 16. April 1746 die englischen Musketen über die Breitschwerter der Schotten.

Bei Culloden soll sich Hieronymus Linder durch besondere Kühnheit hervorgetan haben, wofür man ihn in den Rang eines Oberstleutnants beförderte. Im Jahr 1752 avancierte er zum Oberst und 1758 wurde er sogar zum Generalmajor befördert - dem höchsten Rang den bis dahin ein Basler erlangte. Zwei Jahre später nahm er altershalber seinen Abschied von Holland und vom Militär.

Lebensabend in Basel

Die Bindung von Hieronymus Linder zur Zunft zu Hausgenossen dürfte auf seinen früh verblichenen Vater zurückgehen, der Goldschmied war. Bekanntlich war im 16. Jahrhundert schon der Söldner, Zeichner und Goldschmied Urs Graf zu Hausgenossen zünftig. So öffneten sich auch dem Krieger Hieronymus die Türen zur Zunftstube der Geldwechsler und Goldschmiede.

Seine Verbundeheit zur Zunft brachte er bereits im erwähnten Testament zum Ausdruck. 1747 nahm Linder als gewählter Sechser der Zunft zu Hausgenossen in ihrem Namen Einsitz im Rat der Stadt. Nachdem er sich 1760 in den Ruhestand begeben hatte, lebte er fortan dauerhaft in seinem Domizil in der St.Alban-Vorstadt, und genoss den ruhigen Lebensabend in Basel.

Die Basler nannten den alten Kriegsmann ehrfürchtig "General". Er sei bis in seine letzten Tage ein "allzeit aufrechtgehender und adretter militärischer Staatsmann gewesen". Ein langer Ruhestand in Basel war ihm jedoch nicht beschieden. Am 29. Dezember 1763 tat er nach dreitägiger Krankheit seinen letzten Atemzug. Seine Bestattung im Münsterkreuzgang war sehr militärisch geprägt.

Auf dem Sarg Linders lagen sein Stock und sein Degen. Dazu der Halskragen als Zeichen seines militärischen Ranges und die Schärpe der Oranier für seine Dienste in den Niederlanden. Alle siebzig Offiziere der Basler Landmiliz folgten ihm ans Grab, gekleidet in ihre Uniformen und in rote Mäntel. Man hatte in der Stadt selten einen verstorbenen solchen Ranges zu begraben.

Bis heute kündet Linders martialisches Epitaph im Kreuzgang von einer grossen Karriere. Eine Kugel die er im Neunjährigen Krieg 1697 bei der Belagerung von Ath ins Gesicht bekommen hatte, wurde in die Bibliothek der Universität Basel als historisches Souvenir überlassen. Sie hatte auf Linders rechten Wange eine Narbe hinterlassen, die ihn noch als Greis zeichnete.

Die Schlacht von Malplaquet rief Entsetzen in der Eidgenossenschaft hervor. Man war erschüttert darüber, wie erbittert Schweizer gegen Schweizer für fremde Monarchen gegeneinander gekämpft hatten. Es kam zu einer intensiven Diskussion; doch erst 150 Jahre später schuf der junge Bundesstaat die gesetzliche Grundlage für das Ende dieses Söldnerwesens.

epitaph im muensterkreuzgang

Epitaph von Hieronymus Linder im grossen Kreuzgang des Basler Münsters, welches in Latein seine Laufbahn würdigt.




Beitrag erstellt 18.04.04 / überarbeitet 10.09.19

Quellen:

Michael Barthorp, Marlborough's Army 1702-11, Serie Men-at-arms Band 97, Neuauflage 1988 Osprey Publishing, London, 1988, ISBN 0-85045-346-1

August Burckhardt, Basler in fremden Diensten, 95. Neujahrsblatt der GGG, herausgegeben von der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen, Kommissionsverlag Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1917, Seite 31

Peter Buxtorf, "Generalmajor Hieronymus Linder und das Legatum Linderianum", publiziert im Basler Jahrbuch 1958, herausgegeben von Gustav Steiner und Andreas Staehelin, Verlag von Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1957, Seite 62 bis 81

Peter Buxtorf, Die lateinischen Grabinschriften in der Stadt Basel, Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Band 6, Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1940, Seite 131

Richard Feller, "Bündnisse und Söldnerdienste" publiziert in Schweizer Kriegsgeschichte Band 6, Verlag des Oberkriegskommissariats, Bern, 1916, Seite 37 bis 39

Paul Koelner, Basler Zunftherrlichkeit, Birkhäuser Verlag, Basel, 1942, Seite 197 bis 199

Paul Koelner, Im Schatten unserer gnädigen Herren. Aufzeichnungen eines Basler Überreiters 1720-1772, herausgegeben von Paul Koelner, Benno Schwabe & Co, Basel 1930, Seite 143 bis 144

John McCormack, One Million Mercernaries: Swiss Soldiers in the Armies of the World, Leo Cooper, London, 1993, ISBN 085052 312 5, Seite 125 bis 128

Paul de Vallière, Treue und Ehre - Geschichte der Schweizer in fremden Diensten, Verlag F. Zahn, Neuenburg, 1912, Seite 358 bis 365

Gustav Adolf Wanner, "Markante Gestalten im Haus zur Fortuna, publiziert in Häuser Menschen Schicksale, Band 1, Buchverlag Basler Zeitung, Basel, 1985, ISBN 3 85815 126 2, Seite 34

Gustaf Adolf Wanner, Zunftkraft und Zunftstolz - 750 Jahre Basler Zünfte und Gesellschaften, Birkhäuser Verlag, Basel, 1976, ISBN 3-7643-0856-7, Seite 66

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