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Glosse Nr.34 / 24. April 2009

Die tägliche Unwahrheit

Verstehen Sie mich nicht falsch; ich will nicht im dampfenden Süppchen der helvetischen Patrioten rühren. Zuviele unappetittliche Löffel kreisen schon in diesem Topf. Aber das Thema Kontrollschilder ohne Kantons- und Nationalwappen auf den Stoßstangen drängte sich letzthin auf. Da es der Automobile zuviele und der Ziffern zu wenige werden, müssen die Designer die Schilder überarbeiten.

Da warf das Bundesamt für Strassen der Presse unter anderem den Gedanken vor die Füsse, eine Angleichung an die Nummernschilder der EU vorzunehmen, womit dann das Kantonswappen und der CH-Kleber am Autoheck überflüssig würden. Natürlich ist der Gedanken nur eine Variante von mehreren möglichen. Ebenso natürlich reissen sich dabei die Gegner der EU hierzulande auf ihren Barrikaden in dieser Sache reflexartig-heroisch das Hemd von der Heldenbrust um das wehe Patrotenherz dem Todesstoss darzubieten.

Aber auch bei kühlem Kopf besehen ist die Idee, das jetzige Design gegen jenes der EU-Schilder zu tauschen unklug. Kontrollschilder sollten eigentlich gewisse Informationen gut erkennbar weitergeben. Seit auf den Kofferraumdeckeln die ovalen Kleber mit den Initialen der Nationen durch die winzigen Lettern auf dem kleinen blauen EU-Balken ersetzt wurden, muss man sich schon direkt an den Auspuff des entsprechenden Wagens hängen, um einigermassen entziffern zu können aus welcher Ecke Europas er kommt.

Man könnte das ganze auch gleich auf die Innenseite der Sonnenblende heften, damit niemand mehr im Strassenverkehr abgelenkt wird, wenn er versucht rauszufinden was für ein Kontollschild der rücksichtslose Verkehrsrowdy im Wagen vor ihm nun hat. Einzig schon daran zu denken, das optisch gut erkennbare Kontollschild aus eigenen Landen gegen dieses benützerunfreundliche Unding aus der EU einzutauschen, sollte eine Lohnkürzung und eine Woche Ferienabzug für den betroffenen Denker nach sich ziehen.

Aber es ist bei uns eine gepflegte Tradition, dem Mann von der Strasse und seiner Gattin den löchrigen Blecheimer als heiligen Gral zu verkaufen. Auch wenn jeder sieht dass es einfach nicht funktioniert, wird uns viel zu häufig erzählt dass alles bestens sei, so wie es ist. Unsere Armee ist nach den letzten tiefgreifenden Reformen vermutlich sogar der Pfadfinderabteilung Zytröseli im Feld unterlegen, und das Flaggschiff der Schweizer Banken fuhr mit Volldampf mitten in eine Herde von Eisbergen und ging mit dem Allerwertesten auf Grundeis.

Und ständig war alles in bester Ordnung. Es gab nie Grund zur Sorge; egal ob Pensionskasse, Arbeitsmarkt oder Trinkwasser. Wir können das aus unserer begrenzten Perspektive sowieso nie beurteilen, daher machen das andere für uns. Der Blecheimer ist nicht löcherig und ausserdem ist es der Gral. Kennen Sie Roni Horn? 1955 geboren. Lebte und arbeitete in Island und New York. Das jedenfalls erzählt uns ein graues Schild mit weisser Schrift am Jacob Burckhardt Haus (Sie wissen schon, der lange Glaspalast an der Nauenstrasse).

Dieses Schild erläutert, dass man dank Horns Gummibodenbelag auf der dortigen Fussgängerpassage ein sanftes Federn erfahre - ungewohnt und angenehm. Der Belag sei der Abdruck einer isländischen Basaltformation. Auf der Insel der leeren Kassen hätte man ihn auch lassen sollen. Wenn immer ich die 180 Meter durch diese Passage laufe, meide ich die Gummimatte (siehe Bild unten). Das angenehme und sanfte Federn beschert Visionen gebrochener Knöchel. Immerhin verhütet nunmehr ein Gehteppich in der Mitte das Schlimmste.

der plattenbelag im jakob burckhardt haus

Und wenn das Schild zwei Meter hoch wäre und in Goldlettern den angeblichen Lustrausch beim Begehen von Horns Kunstwerk beschwörte - es ist für niemanden ein Genuss und für Damenschuhe sogar die Hölle. Man könnte ebensogut Murmeln streuen und, behaupten dass es sich angenehm auf ihnen gehe. Ein Beispiel dafür wie ein Gedanke der am Schreibtisch im Elfenbeinturm wunderschön anmutet in der Realität beim Endverbraucher ein Griff in die Kloschüssel ist. Das muss man danach irgendwie schönreden.

Vielleicht gehen die Schönredner/innen aller Arten mittlerweile davon aus, dass der moderne Mensch dank der Demokratie gegen Unwahrheiten unempfindlich geworden ist. Was wurden wir nicht schon beschummelt vor den Urnengängen der Vergangenheit. Laut Bismark wird nur noch im Krieg und nach der Jagd derart viel gelogen. Indes meinte Abraham Lincoln einst sinngemäss, dass man einige Leute die ganze Zeit lang behumpsen kann, sogar alle Leute für einige Zeit. Aber alle Leute die ganze Zeit lang zum Narren zu halten geht nicht.

P.S. 15. Januar .2010: Mittlerweile scheint sich die Hausherrschaft der offenkundigen Selbsttäuschung überdrüssig geworden zu sein, und entledigte sich Herrn Horns gehfeindlichen Kunstwerks in angemessener Diskretion, so dass man heute ohne Visionen aber sicheren Schritts durch die Liegenschaft schreiten kann.

engel

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