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Glosse Nr.14 / 22. August 2004

Kultuhr

Das musste weh getan haben! Ich hatte mich selber schon an dieser Stelle geschnitten. Nicht so tief aber es reichte. Mitgefühl ergriff mich, als ich die frische Narbe an der Seite seines Handrückens zwischen Zeigefinger und Daumen sah. Eigentlich hatte ich nur nach der Uhrzeit gefragt - ich wollte den Bus noch kriegen.

Uns verband einzig das Faktum dass wir am selben Apero Orangensaft tranken. Als ich ihn um die die Uhrzeit bat, blickte er auf seine Armbanduhr, sagte "Zehn nach sechs" und verdrehte sein Handgelenk so dass ich das Zifferblatt selber sehen konnte. In dieser merkwürdigen Haltung verharrte er.

Dabei blieb mein Blick an seiner Narbe hängen. Während ich noch dieses anatomische Detail betrachtete, erhielt ich unerfragte Informationen. "Es ist eine Chopard. Die war nicht billig." Aus meinen Gedanken zur Wundbehandlung gerissen blickte ich hoch und sah wohl derart aus der Wäsche dass er mich für grenzenlos erstaunt hielt.

Er hätte zuerst eine Breitling in Betracht gezogen, wählte dann aber diese Marke. Eine gute Uhr sei wie ein guter Anzug liess er mich wissen. Nun verstand ich die verdrehte Pose; der wollte dass ich seine Armbanduhr sehe. Er liess sich gerade über den Preis aus, als ich nicht widerstehen konnte.

"Jetzt einmal von der Uhrzeit abgesehen, die einem ein Mobiltelefon auch nennt, verfügt ihre teure Uhr gewiss über besonders extraordinäre Funktionen." Irritiert wollte er wissen was ich meine. Ich mutmasste, dass man für diesen Preis doch mindestens eine eingebaute Waschmaschine mit Trockner und Bügelbrett erwarten dürfe.

Die Leviten wurde mir gelesen, in Grossbuchstaben. Ich sei bloss vor Neid und Missgunst zerfressen. Er müsse dies oft mit primitiven Menschen erleben. Ich täte ihm leid. Mein Sarkasmus war wohl etwas zu heiss serviert worden, was ihm sichtbar Missvergnügen bereitete und mich zu weiteren Heldentaten anstachelte.

Neid und Missgunst dürfe er von mir erwarten, wenn ihm seine Uhr die Lottozahlen voraussage. Aber trotz des stolzen Preises könne sie nicht viel mehr als meines Grossvaters Aufziehzwiebel. Nun hatte ich mich in seinen Augen als Crétin übelsten Kalibers geoutet, als Dorfdepp ohne Sinn für Statussymbole.

Nochmals folgte die Beteuerung dass ich ihm leid täte, dann hatte ich den ganzen Krug Orangensaft für mich. Es versüsste den faden Apero, dem Mann durch sein gepflegtes Gärtchen zu trampeln und ihn zu ärgern. Bloss wusste ich nun immer noch nicht, ob ich mich beeilen musste um den Bus zu erwischen.

engel

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