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Glosse Nr.5 / 05. August 2003

Grüsse aus dem Natel

Unvermittelt kann man von ihm angefallen werden. Er schlägt zu wenn man ahnungslos im Tram die Zeitung liest. Er tritt auf wenn im abgedunkelten Kinosaal der bedrohlich leise Soundtrack die nahende Gefahr ankündigt, oder er kommt grell und keck auf dem Hörnli daher, wenn der Pfarrer am Sarg gerade zu einem Moment der stillen Besinnung aufruft. Sie ahnen es, ich meine den Rufton beim Natel.

Mittlerweile gibt es massenhaft verschiedene Ruftöne fürs Natel. Ich vermeide übrigens den populären Terminus "Handy" weil er mich an hautschonendes Spülmittel für Geschirr erinnert, und das möchte ich nicht einmal im Unterbewusstsein in der linken Brusttasche meines Hemdes rumtragen. Laut meiner Frau bin ich hochgradig paranoid, und in dieses Krankheitsbild passt mein Standpunkt zu Ruftönen ausgezeichnet.

Ich würde niemals etwas anderes ausser den Klingelton der Nokia-Werkskonfiguration auf meinem Natel dulden. Immer wieder muss man miterleben, wie die Natels anderer Fahrgäste im Tram nach Aufmerksamkeit rufen, und dabei die benachbarten Sitzreihen genau über mangelnde Geistesreife oder nicht existentes Musikgehör informieren. Was Natelträger/innen in einem schwachen Moment für unerhört originell halten, kann die gesamte persönliche Erscheinung eines Menschen runterziehen wenn es aus dem Lautsprecher eines Natels ertönt.

Das Individualisieren von Gegenständen des täglichen Gebrauchs war nie eine Disziplin die mich reizte. Mein Schulmaterial kam immer grauenhaft neutral daher - ich fand diese Bravo-Abziehbildchen von Samantha Fox oder Rick Astley auf den Schuletuis furchtbar kitschig. Früh hatte ich erkannt, dass man mit solchen Ergänzungen nicht individueller wird, sondern in der Masse der Individualisten untergeht. Wahrer Freigeist ruht im nackten Werksmodell.

Ebenso geht es mir mit Ruftönen, bloss dass hier nicht nur das begrenzte Publikum eines Klassenzimmers des eigenen Geschmacksdefizits teilhaftig wird, man drängt ihn vielmehr wildfremden Menschen auf. Vermutlich würden wesentlich weniger James-Bond-Themes aus Natels ertönen, wenn man auf dem Display auch gleich die Gedankengänge der fremden Ohrenzeugen als SMS ablesen könnte.

Ich kam nur ein einziges Mal in Versuchung an meinem Natel rumzubasteln. Das disharmonische Kreischen einer Stalinorgel erschien mir als genau jenes Rufzeichen welches meiner etwas exzentrischen Natur entgegenkam. Leider benötigt dieses Rufzeichen ein Dolby Surround System um seine volle Wirkung entfalten zu können, und dieses hätte keinen Platz mehr in besagter Brusttasche. Roh aus dem Natel klingt es einfach zu kümmerlich um andere Kunden in einer Bäckerei zu erschrecken.

engel

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