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Glosse Nr.8 / 16. Dezember 2003

Suchtproblem

Ich stand auf dem Balkon, zwei Bündel alte Zeitungen in Händen und eine Rolle Schnur auf dem Tisch. Brav hatte ich allen Karton und ungeeignete Materialien aus dem Haufen rausgefiltert, damit der Wiederverwertung des Altpapiers nichts mehr im Wege stand. Als ich mir einige Stücke Schnur zurechtschnitt, blieb mein Auge an etwas Merkwürdigem hängen, das sich unten auf der Hauptverkehrsader tat.

Ein dunkelblauer Kombi verlangsamte seine Fahrt und blieb schliesslich unbeweglich auf der linken Fahrspur stehen. Wohl war das Verkehrsaufkommen an diesem Morgen bescheiden, aber dennoch deuchte mich dieses Manöver etwas gewagt. Zunächst vermutetet ich, dass dort wohl einem älteren Herrn der Herzschlag ausgesetzt hat, und er nun erschlafft in seinem Sicherheitsgurt hängend mit Gevatter Tod ränge. Die Wahrheit war weit weniger dramatisch.

Bei näherem Hinsehen erkannte ich in dem stehenden Fahrzeug ein paar Kinder auf dem Rücksitz und am Steuer einen gestikulierender Mann mittleren Alters - keine Spur von Herztod, dafür ein Natel am Ohr. Ganz offenbar war er während der Fahrt zunehmend von diesem Ferngespräch beansprucht worden, wobei er allmählich das Tempo des Fahrzeugs senkte. Auf dem Gipfel der Konversation hat unser Mobiltelefonierer dann die Prioritäten neu verteilt und die Fahrt zugunsten des Gesprächs unterbrochen, mitten auf der Fahrspur.

Mit Klingeltönen habe ich mich schon in einer früheren Glosse befasst. Ein nicht minder interessantes Thema ist das Verhalten des Homo sapiens sapiens wenn er über Mobiltelefon kommuniziert. Was einst in der intimen Telefonkabine oder in der Telefonecke des Restaurants (im Untergeschoss bei den Toiletten und dem Zigarettenautomaten) stattfand, wurde durch das Mobiltelefon in die Öffentlichkeit gezerrt. Der Mensch hat sich rasch daran gewöhnt, bloss leidet zuweilen sein Selbsterhaltungstrieb unter dem Zwang jedes Gespräch entgegenzunehmen, sei es wo es wolle.


Ein herausragend bemerkenswerter Zeitgenosse begegnete mir im vorigen Herbst auf dem Veloweg zwischen Buchenstrasse und St.Galler-Ring beim Gotthelfschulhaus. Bei schlechter Beleuchtung, Regennässe und laubbedeckter Fahrbahn, radelte der Mann etwa zwanzig Meter vor mir um 06.30 Uhr seine Wege, mit einem Velo ohne Beleuchtung (quasi ein Stealth-Bike). Seine unnatürliche Haltung und vereinzelte Satzfragmente, die mir aus seinem Windschatten heraus an den Kopf klatschten, liessen erkennen dass er am Natel hing.

Die Fahrbahn mit nasser Laubschicht war eine endlose Rutschbahn. Zudem gibt es einsame Fussgänger, die in solcher Herrgottsfrühe mit Waldi Gassi gehen. Sie watscheln mitten auf diesen Veloweg, wenn ihr Vierbeiner sein Geschäft auf der Wiese nebenan erledigt hat. Es bedurfte keiner solchen Schikane. Unvermittelt rutschte Freund Natel das Vorderrad weg, und alles was höher als die Radnabe lag bewegte sich schwungvoll erdwärts. Seine Reaktionszeit war dramatisch eingeschränkt. Bis kurz vorm Aufschlag hielt er den Kopf gebeugt ans Natel in der Hand.

Für den Gesprächsteilnehmer am anderen Ende muss es ein spezielles Hörerlebnis gewesen sein. Nachdem alles darnieder lag, ruhte das entglittene Natel am Fahrbahnrand. Ich setzte zu einem leichten Linksbogen an, um das fluchende Hindernis zu umfahren. Da soviel Leichtsinn unnachsichtig bestraft gehört, visierte ich das Natel an, um es unter dem Schutzmantel des Ausweichmanövers plattzuwalzen ohne dass man mir das nachweisen konnte. Da sich aber der Gefallene sehr unruhig verhielt, womit ich Gefahr lief ihn plötzlich in den Speichen meines Velos vorzufinden, liess ich von meinem bösen Plan ab.

Ich schlug den Bogen andersrum, und schaute kurz das Gesicht fleischgewordener Einfalt. Der erste Reflex des kraushaarigen jungen Mannes galt seinem Natel. Er hatte es bereits wieder in Händen und setzte das Gespräch fort, über seinen Sturz klagend. Mit dem Rücken zur Fahrtrichtung auf dem Veloweg sitzend, kommunizierte er unbeirrt drauflos. Er nahm nicht einmal wahr, dass sich ihm ein zweites Unglück mit ca 15 Stundenkilometern in Gestalt eines weiteren Fahrrades näherte. Ich konnte gerade noch die Geräuschkulisse der Karambolage hören, dann war ich um die Ecke.


Einen anderen Fall natelbezogener Todesverachtung trug sich in einem Kino in der Steinen zu. Während der ausverkauften Vorstellung eines Filmes mit viel Action und wenig Inhalt (ein Genre das Hollywood zum Kern seines Schaffens erhob) piepste in der achten Reihe aussen am Gang das Natel einer pubertierenden jungen Dame in die Dunkelheit des Saales. Unter den zornigen Blicken der Sitznachbarn nahm sie ab und offenbarte dabei dass sie Laura hiess. Sie könne jetzt nicht reden und werde später zurückrufen. Telefonat beendet? - Denkste!

Es klingelte ein zweites und schliesslich ein drittes Mal, und Laura musste jedesmal abnehmen ohne das nervende Gerät auszuschalten. Stattdessen musste ihr Umfeld nun erfahren, welche Nichtigkeit fortwährend die Showdownszene auf der Leinwand störte. Laura kauerte sich zum Gespräch in ihrem Sitz zusammen, als ob die Körperhaltung den Störpegel ihrer Plauderei senken könnte. Voller Groll erfuhren nun alle, dass ein gewisser Fabbrizio "megaherzig" sei und dass er nicht mehr mit einer gewissen Patrizia ginge.

Die Schlüsselszene war endgültig im Eimer. Der Mob schenkte Laura volle Aufmerksamkeit, doch sie hatte bloss Ohren für Details zu Fabbrizio. Das Tippen ihres Nachbars auf die Schulter tat sie mit einer schnippischen Handbewegung ab, weiterhin ins Natel sprechend ohne den Kopf zu heben. "Nun ist aber Schluss, Gopferdammi!" Dieser rüde Zwischenruf einer Frau zwei Reihen vor ihr war das Fanal, der Volkszorn kam über Laura wie das jüngste Gericht. Der Vorfall endete mit einem kaputten Natel auf dem Boden des Ganges. Sic transit nokia handy.

engel

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