face

zurueck


glossen
Glosse Nr.40 / 06. Mai 2011

Schlechte Menschen

Jawohl, ich muss es gestehen. Und eigentlich betrifft es nicht nur mich sondern auch gleich Frau und Nachwuchs. Wir sind samt und Sonntags schlechte Menschen. Die alte Familienkutsche aus dem Hause Peugot ist bejahrter als unsere Ehe. Mit Namen Haribert hat er meiner Gattin 18 Jahre treu gedient und sie damals noch durch den Großstadtschungel von Berlin begleitet.

Nun sind seine Tage gezählt, er geht aufs Altenteil. Sein Nachfolger stammt aus der selben französischen Familie. Und da wir uns kein neues Auto leisten können, ist auch der neue schon einige Jahre alt, aber immerhin noch Minderjährig. Er bietet Annehmlichkeiten die sein Vorfahre nicht hatte, so Front- und Seitenairbags und - horrible dictu - eine Klimaanlage. Somit haben wir eine neue Stufe des Bösen erlangt.

Wohl sind in den nahenden Hitzetagen Klimaanlagen eine angenehme Sache, aber kompetente Geister haben herausgefunden dass diese Dinger in Autos zusätzlich Energie fressen und die Kühlflüssigkeit den Treibhauseffekt füttert. Daher sind solche Wagen in umweltbewussten Kreisen verrufen, und jene die sie fahren schlechte Menschen. Da haben wir den Salat, und da hilft auch die Ausrede nicht, dass wir unseren Hausmüll trennen.

Wäre ich besorgt um mein Ansehen, würde ich meine dünnen Ersparnisse darauf verwenden, den kühlenden Klimakiller aus dem Familienpeugot zu extrahieren. Aber das nützte ohnehin nichts. Wir wohnen in Basel, und hier schützt eine ausgebaute Klimaanlage nicht vor dem Ruf eines schlechten Menschen. Man steht hier bereits im Ruch des Bösen wenn man überhaupt ein Auto hat. Da nützt uns auch ein Velo pro Kopf im Velokeller nix.

Die Stadt strebt ambitioniert den Ruf einer Schweizerischen Velohauptstadt an. An einem solchen Ort gelten Autos als höllische Geräte, die der gelangweilte Luzifer erfunden hat um Adam und Eva zu verderben. Wer nicht der dunklen Seite der Macht verfallen will nutzt hier das Fahrrad. Doch auf diesen Sätteln lauern ebenso Imagefallen. Bei den Fussgängern und Autofahrern gelten wieder umgekehrt Radfahrer als schlechte Menschen.

Als Homo sapiens sapiens per pedes weiss man in Basel, dass Velos oft Trottoirs oder Fussgängerzonen als Tabubereiche ignorieren. Es echauffiert viele Fussgänger/innen heftig, stets aufpassen zu müssen dass man in genannten Bereichen nicht einem eiligen Fahrrad in die Quere kommt. Damit muss man leben, denn das unmotorisierte Zweirad geniesst hier Freiheiten die etwa denen der Makaken im thailändischen Lopburi gleichkommen.

Somit gelten Velofahrer/innen bei vielen Fussgänger/innen als schlechte Menschen/innen (so, nun hab' ich die orthographische Gleichberechtigung dicke), egal ob sie sich an die Verkehrsregeln halten oder nicht. Müssig zu erklären dass Autofahrer im Stress des Verkehrs sowieso alle anderen Verkehrsteilnehmer für schlechte Menschen halten, egal ob zu Fuss, mit dem Velo oder auch im Auto. Lauter Einzelkämpfer hinter dem Steuer.

Sollte ich mich des Velos und des Autos enthalten, werde ich noch lange kein guter Mensch deswegen. Für Blut- und Bratwurstpatrioten bin ich schon böse weil ich eine Deutsche (mit roter Familientradition) geehelicht habe, und damit eine weitere Schaufel Erde aufs Grab wahren Schweizertums warf. Und sollte dies nicht genügen, dann sind wir beide eben schlechte Eltern, unwürdig des Nachwuchses, weil unser Kind eine Krippe besuchte.

Für die Leute mit pathologisch offener Weltanschauung gelte ich wiederum als schlechter Mensch, weil es mir gegen den Strich geht dass meinem Kind der Hochdeutschzwang in der Schule den Dialekt versaut. Ich kann die unbewusst angeeigneten Zwitterworte wie "Pfärdli" (vulgo "Rössli"), "Dräppe" (von der Hochdeutschen Treppe, korrekt: "Stääge") aus meines Sohnes Mund nicht mehr hören. Somit gelte ich als verbohrt und ewiggestrig.

So viel Schlechtheit macht Durst. Doch der Fruchtsaft im Kühlschrank wurde jenseits der Grenze gekauft. Die Autofahrt dorthin killt das Klima und das Einkaufen in der Ferne schädigt das lokale Gewerbe. Und es ist zuviel Zucker im Saft, was dick macht. Dick bin ich schon, und falle ich dem Gesundheitswesen als zügelloser Egomane schwer zur Last. Was soll's. Gutsein ist sowieso nur was für Spiesser, und die sind auch schlechte Menschen.

engel

zurück