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Geschichte des Morgenstreich / Morgestraich
Der Morgenstreich am Montag um vier Uhr früh hat als Beginn der Basler Fasnacht eine verschlungene Geschichte. Früher war es gar nicht möglich, so früh die Trommel zu rühren. Laut einem Verbot des Jahres 1773 war das fasnächtliche Trommeln zur Winterzeit in der Stadt erst ab sieben Uhr am Morgen (Tagesbeginn) erlaubt. Später gestattete man es schon ab sechs Uhr.
Im Jahr 1804 wurde das Trommeln zum Auftakt der Fasnacht ausnahmsweise schon ab fünf Uhr zugelassen. Zwar hatte es schon 1797 einmal einen lärmigen Fasnachtsbeginn um vier Uhr morgens gegeben. Doch es sollte noch über drei Jahrzehnte dauern, bis sich nach dem unerlaubten Morgenstreich des Metzgers Bell diese frühe Stunde für den Beginn der Fasnacht durchsetzte.
Während der Trennungswirren zwischen Stadt und Landschaft zu Beginn der 1830er Jahre, litt die Fasnacht unter vielen Einschränkungen und Verboten. Dessen ungeachtet scharte im Jahr 1833 der als renitent bekannte Basler Metzger und Gastwirt Samuel Bell (1792-1851) Fasnachtsbegeisterte und Tambouren um sich, um mit ihnen einen illegalen Morgenstreich in Szene zu setzen.
Der Morgenstreich war eigentlich ein militärisches Trommelsignal, welches Truppen zusammenrief. Aus diesem Grund hiess das Signal auch "Sammlung". Es war bereits im 18. Jahrhundert beim Berner Militär bekannt. In Basel nennen 1808 die erlassenen Verordnungen "wegen der Fasnachts-Belustigungen" den Begriff "Morgenstreich" erstmals im Zusammenhang mit der Fasnacht.
Der wegweisende Morgenstreich von 1833
Die heutige fasnächtliche Tradition begann indes mit dem Morgenstreich von Metzger Bell am frühen Morgen des 27. Februar 1833. Zwar war der Plan am Vortag bekannt geworden, und die Polizei forderte Bell auf, davon abzusehen. Aber als gegen drei Uhr kostümierte Tambouren trommelnd durch die Gassen zogen, beschlossen die Behörden trotz des Verbotes nicht einzugreifen.
Am selben Tag machten die "Bell'schen Spiessgesellen" auf 16.00 Uhr mit einem Zug von bis zu hundertfünfzig Personen Strassenfasnacht in Gross- und Kleinbasel. Polizei und Standestruppe verzichteten als Ordnungsorgane auf ein Eingreifen. Sie wären ohnehin nicht im Stande gewesen, die Volksmenge ohne Waffengewalt zu zerstreuen, und zur Waffe wollte man deswegen nicht greifen.
Wegen der blutigen Niederlage der Stadt am 3. August 1833 im Zuge der Kantonstrennung, wurden 1834 alle öffentlichen Fasnachtsbelustigungen verboten. Immerhin liess man unter polizeilicher Aufsicht das Tanzen in den Zunfthäusern zu. Doch Bells Aktion hatte wesentlichen Anteil daran, dass auf 1835 eine erheblich grosszügere Fasnachtsverordnung eingeführt wurde.
Mit Erlaubnis der Basler Behörden wurde ab dem Jahr 1835 der Morgenstreich auf vier Uhr durchgeführt. Dabei schritten Tambouren durch die Gassen von Basel, während martialisch uniformierte und bewaffnete Platzmacher ihnen den Weg bahnten und im Licht von Pechfackeln Pierrots oder Blätzlibajasse lebhaft um den Zug herum tanzten, um dabei das Publikum zu necken.
Morgenstreich der Basler Kinder um 1872. In napoleonischer Tradition machen (falsch)bärtige Sappeure den Weg frei. Man beachte die damaligen Laternentypen | Holzstich nach Carl Huth.
Das Aufkommen der Laternen
Ab 1835 bekam die Basler Fasnacht allmählich das heute noch bekannte Gesicht. Dazu trug auch der Morgenstreich wesentlich bei. Zur Fasnacht 1845 verbot die Polizei das Mitführen der feuergefährlichen Fackeln, die bislang den Anlass erhellten. Das offene Feuer musste stattdessen durch Laternen ersetzt werden. Diese wurden in der Folge typisch für das Basler Fasnachtstreiben.
Anfangs behalf man sich mit Stablaternen. Zu denen kamen mit der Zeit auch Rückenlaternen, man wie einen Rucksack trug. Die grossen Laternen, die heute dem Morgenstreich einen wichtigen Teil seines Charakters verleihen, erschienen erst nochmals später. Ein Bericht der Schweizerischen Nationalzeitung vom 13. März 1848 belegt bemalte Laternen mit politischen Sujets:
"Unser Fasching hat begonnen; schon um 4 Uhr wirbelten die Trommeln den Morgenstreich durch alle Stadtviertel; dieselben bunten Papierlaternen warfen ihre Schlagschatten auf die grotesken Schaaren von Jung und Alt; am gelungensten war der Zug mit einer gutgezeichneten Laterne über die jüngsten Zeitereignisse der Schweiz: Sonderbund und neuenburgisches Preussentum lieferten die Hauptbilder."
Zwei Morgenstreiche pro Fasnacht
Am Morgenstreich von Samuel Bell 1833 waren auch Kinder beteiligt. Jakob Christoph Pack (1768-1841) berichtete, dass ihnen an diesen Montag das Trommeln verboten gewesen sei. Daher lärmten sie mit Klapperinstrumenten, um den Morgenstreich im Gang zu halten. Jedoch hätten die Kinder am Mittwoch die Trommeln rausgeholt, und den Morgenstreich wie gewohnt geschlagen.
Diese Erwähnung belegt, dass es damals üblich war, den Morgenstreich sowohl am Fasnachtsmontag wie auch am Mittwoch, dem letzten Fasnachtstag durchzuführen. Die Chronik des Basler Jahrbuches nennt indirekt und direkt einen zweiten Morgenstreich. 1891 und 1896 ist die Rede von einem "Montag-Morgenstreich", was darauf hinweist, dass es noch einen anderen gab.
Konkret wird für 1900 erwähnt, dass der Mittwochnachmittag lebhafter gewesen sei, als es die Stille am zweiten Morgenstreich hätte erwarten lassen. 1912 erlaubte die Polizei neu das Trommeln an Montag und Mittwoch bis 22.00 Uhr, wofür aber nun der zweite Morgenstreich am Mittwoch gestrichen wurde. Der Morgenstreich zum Fasnachtsauftakt überlebte als einziger der beiden.
Laternen der Lälli-Clique kurz vor dem Morgenstreich. Seit der Mitte des 19. Jahrhundert gehören diese grossen bemalten Kunstwerke zu den tragenden Elementen des Morgenstreichs.
Konstanten und Wandlungen im Brauchtum
Eine Konstante des Brauchtums ist der exklusiv zum Anlass gespielte Marsch "Morgestraich". Bis heute erklingt er Punkt vier Uhr, wenn die Cliquen beim Lichterlöschen beginnen durch die Gassen zu ziehen. Er geht auf das bereits erwähnte militärische Trommelsignal zurück, welches auch in der Ordonnanz für Tambouren und Pfeifer der Eidgenössischen Truppen 1819 erscheint.
Die ursprüngliche Variante wurde später von Karl Schell (1864-1936) zum heutigen Marsch verfeinert und arrangiert. In Rhytmus und Grundzügen war er bereits zu den Tagen bekannt, als die Bell'schen Spiessgesellen durch Basel zogen. Der Lokalhistoriker Paul Koelner (1878-1960) berichtete 1913, dass sich auch die derben Umgangsformen am Morgenstreich gewandelt hätten.
So sei es einst rau zugegangen, wenn sich an einer beengten Stelle Cliquen passierten. Wo mittlerweile der freundliche Gruss der Tambourmajore Einzug gehalten habe, hätte es früher Spott, Handgreiflichkeiten und kaputte Trommelfelle gegeben. In den 1870er Jahren wurde eine Clique von einer andere auf der Mittleren Brücke so ruppig abgedrängt, dass die Laterne in den Rhein stürzte.
Mit der ersten Blütezeit der Guggemusiken vor dem Ersten Weltkrieg, erlebte man diese auch am Morgenstreich. Die Kriegspause 1914-1919 setzten den Guggen stark zu, so dass man für eine Weile weniger von ihnen hörte. In den 30er Jahren erholte sich die Szene und begann wieder zu wachsen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg schränzten die Guggen am Morgenstreich weiterhin mit.
Im Jahr 1962 vereinbarte die IG Gugge, dass die Guggenmusiken nicht länger am Morgenstreich auftraten, und dafür im Gegenzug ihre Konzerte auf dem Marktplatz und dem Barfüsserplatz abhalten konnten. Zum 60jährigen Jubiläum nimmt mit der "Negro Rhygass" 2018 erstmals seit langem wieder eine Gugge am Morgenstreich statt, allerdings nur mit ihrer Pfeifer- und Tambourengruppen.
Wachsender Zulauf
Mit dem Wachsen der Stadt und dem Ausbau der Verkehrsmittel bekam auch der Morgenstreich immer mehr Zulauf. Nach der kriegsbedingten Pause 1914-1919 bei der Strassenfasnacht, erlebten die folgenden 20er Jahre ein Wachstum. Zum sehr gut besuchten Morgenstreich am 19. Februar 1923 fuhr erstmals ein Extrazug der SBB, welcher Fasnachtstouristen von Zürich nach Basel brachte.
Im Jahr darauf verzeichnete man trotz kaltem Wetter riesigen Andrang zu Morgenstreich und Cortège, und 1925 wird der Besuch von einheimischem wie auswärtigem Publikum als "ausserordentlich" bezeichnet. Nicht einmal die weltweite Wirtschaftskrise vermochte den steigenden Zulauf zu dämpfen. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam indes 1939 eine zweite Fasnachtspause.
Nach dieser Durststrecke verzeichnete am 11. März 1946 der erste Morgenstreich nach dem Krieg derart viel Publikum auf dem Marktplatz, dass für die Cliquen kein Durchkommen war. Es fanden sich Besucher aus dem Elsass und dem Badischen ein, die in Basel die triste Nachkriegszeit für einen Moment vergessen konnten. Ebenso traf man US-Soldaten auf Urlaub im Gedränge an.
Extrazüge der SBB brachten Besucher aus der ganzen Schweiz an diesen Morgenstreich. Die Cliquen mussten beim Gedränge auf dem Marktplatz ihre Marschrichtung um 180 Grad ändern. Tambouren die den Weg durch die Massen wagten, mussten ihre Trommeln über dem Kopf durch die Zuschauermenge balancieren. Die Begeisterung über die Rückkehr der Fasnacht war gewaltig.
Die Angehörigen der Lälli-Clique bereiten sich kurz vor vier Uhr auf den Morgenstreich vor. Sie ziehen ihre Larven mit den Kopflaternen an, welche die verschieden kostümierten Fasnächtler als Angehörige einer Clique ausweisen.
Der Morgenstreich heute
Heute ist der Morgenstreich eines der grossen Ereignisse in Basler Jahresablauf. Traditionell beginnt er um vier Uhr morgens mit dem Ausschalten der Strassenbeleuchtung im verkehrsbefreiten Stadtkern. Grosse kunstvoll gemalte Laternen der Cliquen, so wie Stablaternen und Kopflaternchen der Larven, erhellen die Nacht und prägen die typische Atmosphäre des Anlasses.
Mit dem Lichterlöschen beginnen sich zum Kommando "Moorgestraich - Vorwärts marsch!" die an diversen Orten versammelten Cliquen zum Klang von Trommeln und Piccolos voranzubewegen. Unzählige Tambouren und Pfeifer aller Cliquen intonieren dazu synchron den Marsch "Morgenstraich". Danach wechseln die Märsche cliquenweise, während die Züge gemessenen Schrittes weitergehen.
Am Morgenstreich tragen die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler kein einheitliches Kostüm. Dieses ist beim Cortège an Montag und Mittwoch zum Cliquensujet zu sehen. Zum Auftakt werden hingegen unterschiedliche Kostüme getragen. Diese offene Kostümordnung ist als "Charivari" bekannt. Gemeinsam ist die auf der Larve angebrachte Kopflaterne mit dem Logo der Fasnachtslique.
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Beitrag erstellt 01.02.04 / Beitrag überarbeitet 07.02.18
Quellen:
Dorothea Christ, "Geschichte der Laternenmalerei", publiziert in Basler Fasnachtslaternen, herausgegeben von der Spezi-Clique Basel, Kommissionsverlag Friedrich Reinhardt, Basel, 1980, ISBN 3 7245 04 721, Seiten 12 bis 21
Georg Duthaler, Trommeln und Pfeifen in Basel, Christoph Merian Verlag, Basel, 1985, ISBN 8-856-16-023-10, Seiten 45 und 85 bis 86
Pierre Farine, "Die Strassenfasnacht", publiziert in Die Basler Fasnacht, herausgegeben vom Fasnachts-Comité, Basel, 2. Auflage 1986, ISBN 3-9060-7200-1, Seiten 103 bis 107
Paul Koelner, Die Basler Fastnacht, herausgegeben vom Fasnachts-Comité, Universtitätsbuchdruckerei Friedrich Reinhardt, Basel, 1913, Seiten 21, 23 bis 26 und 45
Eugen Anton Meier, "Die Fasnacht im alten Basel", publiziert in Die Basler Fasnacht, herausgegeben vom Fasnachts-Comité, Basel, 2. Auflage 1986, ISBN 3-9060-7200-1, Seite 72
Fritz Meier, Basler Heimatgeschichte, Lehrmittelverlag des Kantons Basel-Stadt, Basel, 5. Auflage 1974, Seiten 352, 361, 363 und 369
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