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Das Totengässlein und sein Ursprung



Frau L. / 18. Oktober 2004:

Woher kommt der gruselige Name Totengässlein? Ich weiss noch aus der Schule dass es vom grossen Erdbeben kommt, aber später habe ich auch gehört dass das nicht stimmt. Was ist jetzt richtig?

Antwort von altbasel.ch (Erweiterte Fassung vom 06.10.2011):

Der 1861 offiziell vergebene Name Totengässlein hat eine lange Vergangenheit. Im späten Mittelalter verbreitete sich die Legende, dass die Bezeichnung daher komme, dass beim Erdbeben 1356 besonders viele Menschen in dieser Gasse den Tod gefunden hätten. In seiner Basler Chronik von 1580 widersprach bereits Christian Wurstisen (1544-1588) dieser Theorie, indem er darauf hinwies dass bereits gut hundert Jahre vor dem Beben die ältesten Jahrzeitenbücher von St.Peter den Namen nennen würden.
[1]

Dieser Version schloss sich 1856 auch Lokalhistoriker Daniel Albert Fechter (1805-1876) an, der festhielt dass die Bezeichnung "Totgassun" bereits im 13. Jahrhundert gängig war.
[2] Vielmehr sei diese Gasse der Weg gewesen, über den man die Verstorbenen aus den tiefer gelegenen Teilen der Kirchgemeinde St.Peter hinauf zum Friedhof bei der Kirche getragen habe. Ein Steuerverzeichnis von 1453/54 spricht von der "Todgassen" und wirft etwas Licht auf einige mittelalterlichen Gassenbewohner. [3]

Ein Junker Hans Murer erscheint in der kurzen Aufzählung zum Totengässlein mit einem grossen Vermögen von 5500 Gulden als wohlhabendster Steuerzahler im Totengässlein. Gefolgt von einem Lienhart Ziegler mit rund 180 Gulden. Ein Metzger namens Peter Berschid wies ein Vermögen von 100 Gulden aus. Zünftig zu Metzgern, könnte er einer jener Meister gewesen sein, die in der nahen Schol (Fleischhalle) am Birsig neben dem Zunfthaus zum Regenbogen eine Bank zum Fleischverkauf hatten.

totengaesslein 2008

Das heutige Totengässlein vom Nadelberg aus gesehen. Links sind Teile des Neubaus aus den 50er Jahren zu sehen, der anstelle der abgerissenen historischen Gebäude bei der Überbauung des Storchen-Areals entstanden ist.

Oben, wo das Totengässlein auf den Nadelberg trifft, lag im 14. Jahrhundert auch die Gesellschaftsstube der in der Zunft zu Hausgenossen aufgegangenen Goldschmiede. Dreizehn von ihnen, alle Basler Bürger, nahmen im Jahr 1363 von einem Kaplan am Münster das Haus ganz oben an der Gasse zu Lehen. Hier lag damals für einige Jahre die Stube der Basler Goldschmiede, bevor sie wohl später in das neu erworbene Haus zum Bären der Zunft zu Hausgenossen an der Freien Strasse umzogen.
[4]

Unten am Totengässlein 1/3 liegt das Haus zum Sessel. Der Druckerherr Johannes Froben ca 1460-1527) erwarb es 1507 um darin seine Offizin einzurichten.
[5] Hier sollten sollten später die Werke des Erasmus von Rotterdam (ca 1469-1536) gedruckt werden. Der Humanist selbst verkehrte in diesem Haus am Totengässlein. Doch zurück zu den Ursprüngen der Gasse, die bereits im frühen Mittelalter als schlichter Weg eine Verbindung zwischen St.Peter und der Talstadt unten am Birsig gebildet haben dürfte.

Es gibt Hinweise dass das Areal an der Schneidergasse schon in spätrömischer Zeit besiedelt war. Aus dieser Epoche wurde beispielsweise beim Haus Schneidergasse 6 eine kleine Flachspitzhacke gefunden. Auch kam im selben Umfeld römische Keramik an den Tag. Nach Erkenntnissen der Archäologen wurde noch vor dem 11. Jahrhundert das Gelände am Fuss des Totengässleins planiert. Auf diesem vorbereiteten Terrain entstanden dann Holzhäuser welche eine Siedlung an der heutigen Schneidergasse bildeten.
[6]

In die Zeit dieser Holzbauten könnten die Wurzeln des Gässleins liegen. Damals dürfte es sich noch um einen Weg gehandelt haben, wie man ihn heute allenfalls noch auf dem Land findet. Gewunden führte er hinauf nach St.Peter, wo im 10. oder auch schon im 9. Jahrhundert ein Gotteshaus stand. Dort hinauf gingen die Leute der Siedlung am Birsig nicht nur zum Kirchgang. Sie trugen über Jahrhunderte hinweg auch ihre Toten zum Bestattungsplatz hinauf über den alten Weg - das Totengässlein.

Das Gässlein konnte sich den Charakter vergangener Jahrhunderte weitgehend bewahren. Allerdings irritiert ein unschöner baulicher Eingriff aus den späten 1950er Jahren im oberen Teil das Bild. Mit dem Abriss des historischen Gasthauses Storchen im Jahr 1957 wurde das Umfeld der Liegenschaft an der Stadthausgasse bis hinauf zum Totengässlein verändert um Platz für einen Neubau und eine Grossgarage zu schaffen.
[7] Die Nordflucht der Gasse ist davon in der oberen Hälfte bis heute schwer gezeichnet.

test

Das Totengässlein mit Blick nach St.Peter, auf dessen Kirchhof einst die Toten hier hinaufgetragen wurden. Diese Aufnahme aus dem Jahr 1935 zeigt den oberen Teil des Gässleins. Rechts erkennt man jene Partie, die Ende der 1950er Jahre bei der Umgestaltung des Storchenareals abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde.


Quelle: Totengässlein, 1935, Staatsarchiv Basel-Stadt, Signatur AL 45, 7-67-3

Zusammenfassung

Der erst 1861 amtlich gewordene Name Totengässlein geht ziemlich sicher darauf zurück dass es im Mittelalter dazu genutzt wurde die Toten aus der Talstadt auf den Kirchhof von St.Peter zu bringen. Ein Gotteshaus am Ort der heutigen Peterskirche hat bereits im 10. Jahrhundert existiert, vielleicht schon früher. Archäologen haben Hinweise darauf gefunden, dass das bereits in spätrömischen Zeiten besiedelte Areal am Fuss des Totengässleins im 11. Jahrhundert mit Holzhäusern besiedelt war.

Schon in jenen Tagen wurde wohl dieser Verbindungsweg von der Siedlung im Tal hinauf zum Gotteshaus gebraucht, auch um die Verstorbenen auf den dortigen Friedhof zur Beisetzung zu tragen. Der während Jahrhunderten in diesem Sinne genutzte Weg bekam sinngemäss die Bezeichnung Totengässlein. An dieser Gasse befand sich im 14. Jahrhundert die Stube der Basler Goldschmiede und ab 1507 die Druckerei von Johannes Froben, in der auch der Humanist Erasmus von Rotterdam drucken liess.

Das geschwungen nach St.Peter hinauf verlaufende Gässchen wurde im 20. Jahrhundert durch die Umgestaltung der Storchenareals ab 1957 verändert. Die historischen Liegenschaften an der Nordflucht im oberen Bereich wurden abgerissen und durch moderne Neubauten des Storchenkomplexes ersetzt. Das Aussehen des Totengässleins ist seither durch diesen baulichen Eingriff beeinträchtigt. Als frühere Gassennamen sind die Bezeichnungen "Totgassun" so wie "Todgassen" überliefert.




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Beitrag erstellt 06.10.11 / Flüchtigkeitsfehler korrigiert 11.11.12

Anmerkungen:

[1] C. Wurstisen, 13. Kapitel, 3. Buch, publiziert in Bassler Chronick, Basel, 1580, Seite 175

[2] D. A. Fechter, Abschnitt "Die neue Brücke - Die Todgasse - Begräbnis", in "Topographie mit Berücksichtigung der Cultur- und Sittengeschichte", publiziert in Basel im vierzehnten Jahrhundert, Basel, 1856, Seite 83

[3] G. Schönberg, "Die Margzahlsteuer von 1453/54", in den Beilagen, publiziert in Finanzverhältnisse der Stadt Basel im XIV. und XV. Jahrhundert, Tübingen, 1879, Seite 645 und 646

[4] A. Burckhardt, Abschnitt "Erwerbung des Hauses zum Grauen Bären durch die Hausgenossenzunft um 1380", Kapitel 1 "Vom Frühmittelalter bis zur Schlacht bei Sempach 1386", publiziert in Die Geschichte der Zunft zu Hausgenossen in Basel, Basel, 1950, Seiten 34 und 35 so wie R. Wackernagel, Kapitel 3 "Einwohnerschaft", 8. Buch, publiziert in Geschichte der Stadt Basel, Band 2/I, Basel, 1911, Seite 398

[5] R. Wackernagel, Abschitt "Johann Froben" in Kapitel 6 "Wissenschaft", 9. Buch, publiziert in Geschichte der Stadt Basel, Band 3, Basel, 1924, Seite 166

[6] C.P. Matt / P. Lavicka, Abschnitt "Ergebnisse", im Beitrag "Zur baugeschichtlichen Entwicklung eines hochmittelalterlichen Siedlungskerns - Vorbericht über die Grabungen an der Schneidergasse 4-12", im Jahresbericht 1983 der Archäologischen Bodenforschung, publiziert in der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 84. Band, Basel, 1984, Seiten 334 bis 336

[7] U. Feldges, Unterabschnitt "Bedrohte Architektur des 19. Jahrhunderts wird neu bewertet", Abschnitt "Die Tätigkeiten der Fünfzigerjahre", publiziert in Die schöne Stadt war unser Ziel - zur Geschichte des Basler Heimatschutzes 1905-2005, Basel, 2005, Seite 103


Quellen:

August Burckhardt, Die Geschichte der Zunft zu Hausgenossen in Basel, E.E. Zunft zu Hausgenossen, Basel, 1950, Seiten 34 und 35

Daniel Albert Fechter, "Topographie mit Berücksichtigung der Cultur- und Sittengeschichte", publiziert in Basel im vierzehnten Jahrhundert, herausgegeben von der Basler Historischen Gesellschaft, H. Georg's Verlag, Basel, 1856, Seiten 83

Uta Feldges, Die schöne Stadt war unser Ziel - zur Geschichte des Basler Heimatschutzes 1905-2005, herausgegeben vom Heimatschutz Basel, Friedrich Reinhardt Verlag, Basel, 2005, ISBN 3-7245-1410-7, Seite 103

Christoph Philipp Matt / Pavel Lavicka, "Zur baugeschichtlichen Entwicklung eines hochmittelalterlichen Siedlungskerns - Vorbericht über die Grabungen an der Schneidergasse 4-12", im Jahresbericht 1983 der Archäologischen Bodenforschung, publiziert in der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 84. Band, Verlag der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft, Basel, 1984, Seiten 334 bis 336

Christoph Philipp Matt, "An der Schneidergasse", Archäologische Denkmäler in Basel, Broschüre 3, herausgegeben von der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt, Basel, 2004, ISBN 3-905098-36-9, Seite 6

Gustav Schönberg, Finanzverhältnisse der Stadt Basel im XIV. und XV. Jahrhundert, Verlag der H.Laupp'schen Buchhandlung, Tübingen, 1879, Seiten 645 und 646

Rudolf Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel, Band 2/I, Verlag von Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1911, Seite 398

Rudolf Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel, Band 3, Verlag von Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1924, Seite 166

Christian Wurstisen, Bassler Chronick, Sebastian Henricpetri, Basel, 1580, Seite 175

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