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Das Bürgerliche Waisenhaus
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Theodorskirchplatz 7lageplan waisenhaus

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Das verlassene und leergeräumte Kartäuserkloster

Der Gebäudekomplex des heutigen Bürgerlichen Waisenhauses hat eine bewegte Vorgeschichte. Als letztes der Basler Klöster entstanden, verschwand es wieder nach der Reformation. Als mit Pater Thomas Kresszi 1564 der letzte Kartäusermönch starb, wurde das Kartäuserkloster von Kleinbasel zum leeren Gemäuer. Der Rat liess das verwaiste Klostergut durch einen Schaffner verwalten.

Dieser betreute die Hinterlassenschaft der Kartäuser unter der Aufsicht mehrerer Pfleger. Die Bestände der Klosterbibliothek wurden 1590 an die Universität übergeben. Dem Antrag der Pfleger, die Zierobjekte der Klosterkirche zu verkaufen oder einzuschmelzen wurde stattgegeben. Im Jahr 1619 wurde auch die Schlaguhr demontiert und an der benachbarten Theodorskirche angebracht.

Der Rat Basels liess das Klostergut durch einen Schaffner verwalten, der unter der Aufsicht mehrerer Pfleger stand. 1590 wurden die Bestände der Bibliothek des Klosters in die Bibliothek der Universität überführt. Ferner wurde dem Antrag der Pfleger stattgegeben, die übrigen Zierobjekte der Kirche zu verkaufen oder dem Schmelzofen zu übergeben.

die ehemalige Kartause um 1615

Ehemalige Kartause mit Lokalitäten des späteren Waisenhauses um 1640 | Stich von Matthäus Merian

1 - Eingangstor mit Pförtnerhaus (1913 vergrössert)
2 - Langes Haus, ab 1754 Häftlingszellen im Erdgeschoss
3 - Grosses Haus, Wohnung Hausmeister/Waisen, Schul- und Speisesaal
4 - Waisenhauskirche mit Knabenschlafsälen im Schiff ab 1822
5 - Kreuzgang und Zellen des einstigen Klosters


Kloster wird Waisenhaus und Haftanstalt

Unter dem Eindruck der Pest 1667 wurde im aufgegebenen Steinenkloster in Grossbasel ein Waisenhaus eingerichtet. Die dort aufgenommenen Kinder wurden als Arbeitskräfte für das Textilgewerbe genutzt. Zudem mussten sie sich das einstige Kloster mit Gefangenen teilen, weil da das Waisenhaus mit einer Haftanstalt vereinigt war. Die Verhältnisse waren eng und misslich.

Der Gedanke hinter dem damaligen Waisenhaus war es, die Kinder mit Strenge zu erziehen und sie früh an Arbeit zu gewöhnen, damit sie sich ein eigenes Einkommen sichern konnten. Der Gedanke, ihnen Zuwendung und Geborgenheit zu geben hatte in diesem Konzept wenig Raum. Die Obrigkeit der Stadt erwartete jedenfalls, dass die Kinderarbeit das Waisenhaus möglichst weit mitfinanzierte.

Bezeichnenderweise fanden sich unter den Waisenväter immer wieder Unternehmer der Textilbranche. Von 1719 bis 1763 hatten ausschliesslich Strumpffabrikanten dieses Amt inne. Sie formten aus den Kindern Arbeitskräfte für ihr eigenes Gewerbe. Erst 1830 wurde die fabrikmässige Produktion im Waisenhaus beendet, und breiter gefächerte Beschäftigungen angeboten.

In den ersten zwei Jahren seines Bestehens wurde so viele Kinder in das neue Waisenhaus eingewiesen, dass der Platz knapp wurde. Daher beschloss der Rat im Juni 1669 die Verlegung vom einstigen Steinenkloster in die ehemalige Kartause in Kleinbasel. Im folgenden August zog das sogenannte Zucht- und Waisenhaus mit Häftlingen und Kindern in sein neues Domizil um.

Die Verhältnisse in Kleinbasel

Kinder und Gefangene wurden zu Beginn in die benachbarte Theodorskirche zum Gottesdienst geführt. Allerdings wurden diese Kirchgänge als Ärgernis betrachtet, so dass eigens ein Waisenprediger angestellt wurde. Dieser hielt fortan einen abgesonderten Gottesdienst in der einstigen Klosterkirche für Waisen und Häftlinge ab. Der erste dieser Prediger war Leonhard Bartenschlag (1638-1690).

Bartenschlag betreute seine kleine Gemeinde von 1670 bis 1679 und wechselte danach ins Amt eines Helfers zu St.Leonhard. Theodor Gernler (1670-1723) wirkte von 1697 bis 1700 im Waisenhaus und verfasste ein spezielles Gebet für die Predigt. Er gebot den Kindern Gehorsam gegenüber den Erziehern und Lehrmeistern und den Gefangenen dass sie sich ergeben in ihre Strafe schickten.

Das Waisenhaus geriet bald in finanzielle Nöte. 1673 versuchte man mit einer Lotterie an Geld zu gelangen, aber als 1677 schliesslich an die 140 Waisen in der einstigen Kartause lebten, waren die Mittel erschöpft. Eine Lösung für die Geldnot brachte schliesslich 1677/79 die Übernahme des Kirchleins St.Jakob mit allen Einnahmen und Besitztümern durch das Waisenhaus.

Die Übernahme von St.Jakob brachte dem Waisenhaus nicht bloss die Almosen des Gotteshauses sondern auch die mit ihm verbundenen Liegenschaften, Reben und Weiden so wie die Einkünfte aus Bodenzinsen, Weiderechten und Birszoll. Zugleich griff man aber zu einer befremdlichen Sparmassnahme. Man schloss mit dem damaligen Hausvater (Aufseher) des Waisenhauses einen speziellen Vertrag.

Demnach sollten die Einkünfte aus der Arbeit von Waisenkindern und Gefangenen dem Hausvater zukommen. Mit dem Geld hatte er Lehrmeister zu stellen, den Kindern Kleider und Nahrung zu besorgen so wie die Kosten des Hauses zu begleichen. Ausserdem sollte er daraus sein eigenes Einkommen beziehen. Dieses Konzept ruht vollkommen auf der Integrität des betreffenden Waisenvaters.

der caristasbrunnen im hof des waisenhauses (2019)

Der Caritasbrunnen den Baltasar Hüglin 1677 für das Waisenhaus schuf. Auf der reich verzierten Brunnensäule - die Caritas als Personifikation der werktätigen Liebe, umgeben von kleinen Kindern.

Dunkle Seiten des Waisenhauses

Die volle Schwäche dieses Systems trat zu Tage in jenen Jahren in denen Strumpffabrikant Abraham Bauler (1684-1742) Waisenvater war. Während seiner 1719 begonnenen Amtszeit stellte man fest vermehrt Mängel fest. 1729 seien die Waisenkinder vernachlässigt und von der Krätze befallen gewesen. Die durch Milben übertragene Krankheit trat oft bei mangelhafter Ernährung auf.

Ferner hätten die Waisen geschwollene Gliedmassen gehabt, und seien gleichermassen dem schlechten Einfluss der Häftlinge ausgesetzt gewesen. Letztere hätten auch "abscheuliche" Krankheiten in die Haft- und Waisenanstalt geschleppt. Die gemischte Unterbringung von Kindern und Gefangenen gab immer wieder zu Beschwerden Anlass, doch der Rat der Stadt ignorierte diese.

Eingeschritten wurde erst, als Bauler einen Waisen zu stark gezüchtigt habe. In Zeiten in denen das Schlagen von Kindern üblich war, muss die Gewaltanwendung des Waisenvaters ausserordentlich gewesen sein, denn man enthob ihn danach endlich seines Amtes. Die Waisenkinder in der alten Kartause hatten fast zwei Jahrzehnte unter diesem unfähigen Mann leiden müssen.

Die räumliche Trennung von Waisenkindern und Häftlingen erfolgte 1754. Dabei dachte man aber nicht an das Kindeswohl, sondern an die neuerdings ebenfalls inhaftierten Frauen aus zerbrochenen Ehen. Diese sollten in der Haftanstalt über ihre Fehler nachsinnen, was heute verwunderlich anmutet. Da einige von ihnen aus vornehmen Familien stammten, ergriff man Massnahmen.

Man erachtete für diese Frauen die Gesellschaft anderer Gefangener als unzumutbar, und baute die Anstalt so um, dass Geschlechter, Gefangene und Waisen fortan getrennt untergebracht werden konnten. Für die Baumassnahmen nutzte man Material das beim Abbruch alter Klosterzellen anfiel. So wurden die Kinder beiläufig durch die erfolgte räumliche Trennung geschützt.

Reformen, Reorganisation und Umbauten

Im Jahr 1776 erreichte die Waisenhausinspektion beim Rat, dass man die Praxis beendete dass der Ertrag der Kinderarbeit an den Waisenvater ging. Dieser wurde nunmehr direkt durch die Inspektion besoldet. Sie übernahm auch die Versorgung von Gefangenen und Waisen. Der Ertrag der Arbeit ging nun an die Inspektion. Es hatte Zeit gebraucht, den Mißstand zu beenden.

In der Kartause wurde wieder umgebaut. Die letzten Klosterzellen riss man 1776 ab um mehr Licht in die Wohnräume zu lassen. An ihrer Stelle entstand ein Nutzgarten. Ferner erhielten alle Mädchen und Knaben neue Kleidung. Sie bestand aus zwei Garnituren für Wochen- und Werktage, wobei das blaue Wolltuch charakteristisch für die Basler Waisenbekleidung werden sollte.

Unter dem Druck der von Napoleon erlassenen Mediationsverfassung wurde die Waisenanstalt 1803 dem Stadtrat unterstellt. Dieser setzte nun die vollständige Trennung von Gefangenen und Waisen um. 1806 wurden die Gefangenen ins einstige Predigerkloster verlegt, wo es bereits seit 1767 ein Gefängnis gab. Nach 137 Jahren war die frühere Kartause alleine den Waisen vorbehalten.

Die Waisenanstalt wurde 1821/22 einer Neuorganisation unterzogen. Damit gingen weitere Umbauten einher. Im Schiff der einstigen Klosterkirche wurden zwei Schlafsäle für Knaben und ein weiteres Schulzimmer eingerichtet. Neu sollte der Waisenprediger nur noch Religion unterrichten, wobei ihm weiterhin die Aufsicht über den gesamten Schulunterricht übertragen war.

Eine weitere Reorganisation brachte 1836 dem Waisenvater Entlastung von administrativen Arbeiten. Ferner wurde der Schulunterricht ausgebaut und der Verkauf der Besitztümer zu St.Jakob an Christoph Merian (1800-1858) brachte dem Waisenhaus 225'000 Franken. Im Jahr darauf wurde der Waisenhauskomplex mit einer Pflästerung versehen, die bessere Verhältnisse brachte.

der hof des waisenhauses auf einem stich um 1850

Hofpartie des grossen Hauses (mitte), einst Schul- und Speisesaal, mit mittlerem Waisenhausflügel und Kirche (rechts) und langem Haus auf der linken Seite um 1850 | Stich von Heinrich Zollinger

Neuerwerbungen und Aufhebung der Schule

Die Kirche wurde 1842 renoviert und dank 50'000 Franken, die Christoph Merian gespendet hatte, konnte 1850 die sogenannte "kleine Kartause" (auch "alte Kartause") mit etwas Land erworben werden. In diesem Gebäude, heute Oberer Rheinweg 95, bekamen ab 1852 die Kinder zwischen fünf und zehn Jahren ein eigenes Heim. Das Haus diente 1945/61 als Beobachtungsheim "Sunnehüsli".

Für die Kinder unter zehn Jahren wurde 1863 auf dem nordwestlichen Areal der Anstalt das dreistöckige Pfleghaus gebaut. Drei in "Familien" unterteilte Gruppen von kleinen Kindern zogen hier ein, während im obersten Geschoss der Verwalter der Waisenanstalt seine Wohnung erhielt. Weitere Renovationen so wie Um- und Ausbauten schufen 1869/71 Platz für insgesamt 200 Waisenkinder.

Die Schule der Waisenanstalt wurde im Jahr 1886/87 aufgehoben. Die Waisen besuchten fortan öffentliche Schulen mit anderen Kindern ihres Alters. Zwei Jahre später erhielt die Institution den offiziellen Namen "Bürgerliche Waisenanstalt". Diese Bezeichnung wurde bis im Jahr 1930 beibehalten, dann erschein die aktuelle Bezeichnung "Bürgerliches Waisenhaus".

Sieben Familien

Im Jahr 1928 wurde ein System mit sieben Gruppen zu 12 bis 18 Kindern, nach Geschlecht getrennt, eingeführt. Sie bewohnten eigenen Räumen die Schlafzimmer, Waschraum, Aufgaben-, Arbeits- und Bastelzimmer, Wohnstube, Erzieherzimmer und Toiletten umfassten. Diese Familien bekamen die Namen "Sunneschyn", "Immergrün", "Jubilate", "Felicitas", "Kartause", "Musica" und "Excelsior".

In der Knabenabteilung gab es 1929 Umbauten, bei denen der so genannte Kartäusersaal eingerichtet wurde. Man modernisierte die Küche und unterzog die Kirche des Waisenhauses eines Renovation. 1931 gestaltete man die Abteilung für Mädchen und jene für Kleinkinder um. Zugleich wurden die ehemalige Bibliothek der Kartause und die alte Sakristei der Kirche umgebaut.

Da mit Beginn einer Lehre die Jugendlichen aus dem Waisenhaus austraten, brachte dies für viele von ihnen in den harten Zeiten der Weltwirtschaftskrise ein Gefühl der Entwurzlung mit. Besonders schlimm war dies, wenn sie keine Bleibe in einer Unterkunft für Lehrlinge fanden. Aus diesem Grund rief man 1938 die Lehrlingsgruppe "Flamme" im einstigen Kapitelhaus ins Leben.

Das Sunnehüsli am Oberen Rheinweg

Das erwähnte Beobachtungsheim "Sunnehüsli" wurde 1945 am Oberen Rheinweg 95 eingerichtet. Unter den Kindern die in Heimen ausserhalb des Waisenhauses untergebracht waren, gab es eine steigende Anzahl von Fällen die durch einen Psychiater untersucht werden sollten. Zwölf Kinder im Alter von vier bis neun Jahren konnten zur Beobachtung im Sunnehüsli untergebracht werden.

Es zeigte sich jedoch, dass die Raumverhältnisse zu beengt waren um die Kinder angemessen zu betreuen. Das Heim stand unter der ärztlichen Leitung der Psychiatrischen Poliklinik für Kinder und Jugendliche. Zwar war das Sunnehüsli dem Waisenhaus unterstellt, doch die pädagogische Zusammenarbeit zwischen Heim und Waisenhaus war nicht optimal. Das Heim wurde 1961 geschlossen.

In den Nachkriegsjahren steig die Zahl von Kindern aus zerrütteten Ehen, die vorübergehend ins Waisenhaus kamen. Für die Gemeinschaften der Familiengruppen wurden die resultierenden häufigen Wechsel kommender und gehender Kinder eine Belastung. Um der Situation begegnen zu können wurde 1951 eine Aufnahme- und Durchgangsstation geschaffen, wo erstmals Mädchen und Knaben gemischt lebten.

das sunnenhuesli am rheinweg (2004)

Die 1850 mit einer Spende von Christoph Merian erworbene "Kleine Kartause", ab 1852 Heim für Kinder zwischen fünf und zehn Jahren, von 1945 bis 1961 Beobachtungsheim "Sunnehüsli".

Im Jahr 1961 war ein Neubau für das Lehrlingsheim und die Gruppe für die ältesten Knaben so weit fertig dass er bezogen werden konnte. 1965 wurde ein Umbau im Nordwestflügel abgeschlossen. In der Folge konnten die neugegründete Familie "Cantate" und die Familie "Musica" Räume in diesem Flügel beziehen. Die beiden Familien wurden nun gemischt mit Mädchen und Knaben geführt.

Das Pfleghaus von 1863 wurde 1966/67 umgestaltet. Nach 300 Jahren hatte sich in jenen Tagen das ehemalige Kartäuserkloster von einer Zucht-und Waisenanstalt zu einem zeitgemässen Waisenhaus gewandelt. Die Mauern des einstigen Klosters könnten von viel kindlichem Leid berichten. Aber ebenso wüssten sie von Engagement und Einsatz für die Jugend zu erzählen.


Beitrag erstellt 14.09.04 / Quellen ergänzt 10.02.21

Quellen:

Martin Allemann / Simon Graber, "2018/34 - Theodorskirchplatz 7", in "Ausgrabungen und Funde im Jahr 2019", in "Fundchronik Innenstadt" publiziert in Jahresbericht 2019 der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt, herausgegeben von der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt, Basel, 2020, ISBN 978-3-905098-67-9, ISSN 1424-4535, Seite 52 (Mauerfunde Waisenhaus)

Walter Asal, Bürgerliches Waisenhaus Basel in der Kartause, 149. Neujahrsblatt herausgegeben von der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen, Kommissionsverlag Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1971

Emil Blum / Theophil Nüesch, Basel Einst und Jetzt, Eine kulturhistorische Heimatkunde (Textband), Verlag Hermann Krüsi, Basel, 1913, Seiten 131 bis 134

Casimir Hermann Baer, "Die Kartause", publiziert in Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt, Band 3, herausgegeben von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Birkhäuser Verlag, Basel, 1941, Seiten 449 bis 594

Karl Gauss, Basilea Reformata, Verlag der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft, Basel, 1930, Seite 42 (zu Leonhard Bartenschlag)

engel

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