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Die baselstädtische Kantonsverfassung 1875
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Die neue Bundesverfassung von 1874 räumte allen Schweizern das Stimm- und Wahlrecht auf eidgenösssischer Ebene ein, unabhängig von ihrem Wohnort in der Schweiz. Dies machte in Basel eine kantonale Verfassungsrevision nötig, da hier das Recht zum Urnengang auf Basler Bürger beschränkt war. Dies schloss den zugewanderen Bevölkerunganteil aus, der stetig stieg.

Nach der Kantonstrennung 1832/33 erwuchs der herrschenden bürgerlich-konservativen Schicht allmählich ein Gegenpol in den Radikalen (die später im Freisinn aufgingen). Diese junge politische Richtung orientierte sich nicht an lokalen Traditionen. Sie strebte vielmehr nach nationalen Werten, und forderte neue Volksrechte, was die Konservativen herausforderte.

rathausturm vom imbergaesslein gesehen

Wilhelm Klein fordert die Verfassungsrevision

Die Radikalen hatten in Basel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zunehmend an Boden gewonnen, und sahen 1874 den Moment gekommen, ihre Ideale umzusetzen. Zu ihren Vorkämpfern zählte Wilhelm Klein (1825-1887). Der Sohn eines in Basel eingebürgerten Lehrers aus Württemberg, beteiligte schon als junger Mann am Freischarenzug 1844 gegen das konservative Luzern.

Lehrer geworden, wie sein Vater, wählte ihn das radikal geprägte Steinenquartier 1850 in den Grossen Rat. Als langjähriger Ratsherr, und mittlerweile Nationalrat, beantragte Klein 1867 eine Revision der Kantonsverfassung im radikalen Sinne. Das damals gescheiterte Vorhaben sollte mit der Annahme der totalrevidierten Bundesverfassung am 19. April 1874 neuen Schub bekommen.

Am 4. Mai 1874 erneuerte Klein seine Forderung zur Revision der Basler Verfassung. Sein Antrag im Grossen Rat wurde angenommen, was belegt, dass auch konservative Kreise die Notwendigkeit einer Revision erkannten und dafür stimmten. Die neue Verfassung war nicht nur eine Anpassung an die eidgenössischen Verhältnisse. Vielmehr brachte sie eine tiefgreifende Wende.

Die neue Kantonsverfassung wurde am 19. April 1875 vom Grossen Rat angenommen. Am folgenden 9. Mai nahmen auch die Basler Aktivbürger mit 3430 gegen 786 die Verfassung bei einer Volksabstimmung an. Die meisten Gegner fanden sich unter den Katholiken, die durchaus zu Recht, starke radikale Eingriffe in ihr eigenes Kirchen- und Bildungswesen befürchteten.

Ein vollkommen neues Staatswesen

Das über Jahrhunderte gewachsene Gemeinwesen, mit Bürgermeister, Rat, und seinen vielen von Ratsherren präsidierten ehrenamtlichen Ausschüssen, wurde aufgelöst. An seine Stelle trat eine vom Grossen Rat gewählte Regierung mit sieben besoldeten Regierungsräten und einem Regierungspräsidenten. Der Grosse Rat selbst wurde nunmehr alle drei Jahren vom Volk gewählt.

Die Einführung von Initiative und Referendum stärkte die Volksrechte zusätzlich. Der Staat bekam zur Verwaltung Departemente, die von Beamten unterhalten wurden. Die zuvor städtischen Aufgaben wurden neu zu Kantonsaufgaben. Zugleich wurden die einst sehr einflussreichen Zünfte entmachtet. Sie verloren ihre seit dem Mittelalter bestehende Funktion bei der Ratswahl.

Unter der Aufsicht der neu entstehenden Bürgergemeinde, behielten die Zünfte das Einbürgerungswesen und die Armenfürsorge. Wilhelm Klein frohlockte zu Neujahr 1875: "Die gute alte Zeit ist gottlob vorüber..." Am 17. Juni jenes Jahres wurde er in den ersten Regierungsrat gewählt, und übernahm das Erziehungsdepartement. Er plante grosse Neuerungen im Bildungswesen.

Umsetzen konnte er seine Bildungsreform indes nicht. Bei den Grossratswahlen 1878 büsste das liberal-radikale Lager seine Mehrheit ein, die an die Konservativen überging. Bei den Gesamterneuerungswahlen für den Regierungsrat am folgenden 13. Mai stellten die Radikalen nur noch drei und die Konservativen vier Regierungsräte. Wilhelm Klein selbst wurde nicht wieder gewählt.

Fortwährende Anpassungen

Die Verfassung von 1875 bahnte dem modernen Staat den Weg. Das damals entstandene System ist bis heute das Fundament des Kantons. Es erfuhr im Laufe des Zeit mehrere nötige Revisionen. So wurde zum Beispiel im Jahr 1889 die Volkswahl des Regierungsrates beschlossen, 1905 das Proporz-Wahlsystem und 1966 das Stimm- und Wahlrecht für Frauen eingeführt.

Zusammenfassung

Die neue Schweizer Bundesverfassung von 1874 garantierte den Landesbürgern das Stimm- und Wahlrecht in allen Kantonen. Die Bevölkerungsstruktur von Basel hatte sich zudem in den vorangegangenen Jahrzehnten durch Zuwanderung stark gewandelt. Die alte Basler Verfassung trug diesen veränderten Verhältnissen nicht mehr Rechnung, und benötigte daher eine Revision.

Es waren die radikalen Kreise um Wilhelm Klein, welche besonders stark eine Revision verlangten. Diese politische Strömung orientierte sich national und strebte nach Veränderung, im Gegensatz zu den Konservativen, die sich an kantonalen Traditionen ausrichteten. Doch beiden Lagern war bewusst, dass die veraltete Basler Verfassung erneuert werden musste.

Der von radikalen Ratsherrn Wilhelm Klein gestellte Antrag auf eine Verfassungsrevision wurde im Grossen Rat im Mai 1874 angenommen. Ein Jahr später nahm das Basler Stimmvolk die überarbeitete Verfassung an der Urne mit 3430 zu 786 Stimmen an. Damit kam das Ende des alten Systems, bei dem die Macht überwiegend bei Rat, Zünften und Bürgermeister lag.

Es entstand neu eine Kantonsverwaltung mit Departementen und sieben Regierungsräten an deren Spitzen, so wie einem Regierungspräsidenten. Das Stimm- und Wahlrecht wurde gemäss Bundesverfassung geöffnet, der Grosse Rat alle drei Jahre neu gewählt, und das Volk bekam mit Initiative und Referendum mehr Mitsprachemöglichkeiten.




Beitrag erstellt 19.05.17

Quellen:

Eduard His, Beitrag "Wilhelm Klein", publiziert in Basler Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, Benno Schwabe & Co, Basel, 1930, Seiten 207 bis 229, so wie Fussnote 1, Seite 197 (zur Volksabsimmung 1875)

René Teuteberg, Basler Geschichte, Christoph Merian Verlag, Basel, 2. Auflage 1988, ISBN 3 856 16 034 5, Seiten 335 bis 337

Gustav Adolf Wanner, Zunftkraft und Zunftstolz - 750 Jahre Basler Zünfte und Gesellschaften, Birkhäuser Verlag, Basel, 1976, ISBN 3-7643-0856-7, Seite 48

Regina Wecker, Beitrag "Das politische System Basel-Stadt", publiziert in Basel - Geschichte einer städtischen Gesellschaft, herausgegeben von Georg Kreis und Beat von Wartburg, Christoph Merian Verlag, Basel, 2000, ISBN 3-85616-127-9, Seiten 217, 220 und 222

engel

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