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Der Generalstreik 1919 in Basel
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Der Erste Weltkrieg 1914-1918 hatte tief greifende Spuren in der Schweizer Gesellschaft hinterlassen. Die Arbeiterschicht litt unter den gestiegenen Lebenshaltungskosten, die schneller gewachsen waren als die Löhne. Der Unmut von Arbeitern und Angestellten führte zum Landesstreik im November 1918, der unter dem Druck eines grossen Truppenaufgebots beendet wurde.

Basel war ein Krisen-Brennpunkt. Der Lebensmittelknappheit im Winter 1917/18 folgte ein Hungerkrawall im Juni 1918. Arbeiter und Jungburschen verwüsteten am Barfüsserplatz das Stadtcasino, wo gehobene Kreise zu speisen pflegten. Danach wurden im Villenviertel des St.Alban-Quartiers Scheiben eingeworfen. Die Vorfälle gingen als "Casino-Sturm" in die Lokalgeschichte ein.

Eine wichtige Rolle spielten die Jungburschen; eine Jugendbewegung am linken Flügel der Sozialdemokratie. Die Jungen sollten sich in den kommenden Jahren von dieser lösen, um ihren eigenen kompromisslosen Weg zu beschreiten. Während ältere Generationen der Arbeiterbewegung die Aktionen des Landesstreiks in November 1918 geprägt hatten, war dies im Sommer 1919 anders.

Der überwiegende Teil der Jungburschen (wo auch junge Frauen aktiv waren) stammte aus Kleinbasel. Ihre Väter arbeiteten in der chemischen Industrie, in den Färbereien, im Baugewerbe, in Druckereien oder auch bei den Strassenbahnen und der Eisenbahn. Mit ihrem flammendem Tatendrang bereiteten die Jungen den gestandenen Arbeiterführern und Gewerkschaftern manch graues Haar.

Die Lage der Basler Arbeiterschicht war im Jahr 1919 von vielen Nöten geprägt. Trotz staatlicher Massnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation zeigte sich die Situation prekär. Nach dem Krieg waren zudem die Mieten stark gestiegen, was die finanziellen Mittel vieler Arbeiterfamilien überstieg. Die Stimmung war angespannt und die notleidende Bevölkerung unruhig.

Seit dem Landesstreik 1918 war auch das Bürgertum von Sorge erfüllt. 1917 zerfiel das russische Zarenreich, aus dessen Asche sich die Sowjetunion erheben sollte. Der Umsturz erfasste Deutschland, wo der Kaiser Wilhelm 1918 abdanken musste. Die Donaumonarchie zerfiel und neue Staaten entstanden. Gewohntes sank in den Staub. Nichts schien mehr sicher zu sein. Revolutionsangst ging um.

gedenktafel steik 1919 greifengasse 6 (2019)

Gedenktafel für den Färberstreik / Generalstreik und die fünf Toten vom 1. August 1919, angebracht an der Liegenschaft Greifengasse 6.

Auslöser bei Clavel & Lindenmeyer

Im Jahr 1901 schlossen sich die Basler Färbereien A. Clavel und Fritz Lindenmeyer zur so genannten Appretur-Gesellschaft zusammen, allgemein Clavel & Lindenmeyer genannt. Das im Kleinbasler Klybeck-Quartier angesiedelte Textilunternehmen war international tätig und verfügte über Filialen und Frankreich und Grossbritannien. Die Firma war einer der grossen Arbeitgeber in Basel.

Die Löhne bei Clavel & Lindenmeyer waren ausserordentlich niedrig und bildeten einen harten Konstrast zum Wohlstand von Alexander Clavel-Respinger (1881-1973), der die Firma leitete. Als Armeelieferant hatte er während der Kriegsjahre erfolgreich Geschäfte gemacht, was sich 1917 im Kauf des Wenkenhof ob Riehen spiegelten, den er zu einem barocken Schmuckstück umbauen liess.

Ein Konflikt um Löhne und Arbeitszeit bei Clavel & Lindenmeyer uferte im Ende Juli 1919 zu einer Machtprobe zwischen Fabrikanten und Gewerkschaft aus. Staatliche Schlichtung scheiterte und unsensibles Vorgehen der Firmenleitung führte am 30. Juli dazu, dass das Aktionskomitee der Arbeiterschaft einen Generalstreik in Basel mit Beginn am 31. Juli um 12.00 Uhr beschloss.

Truppenaufgebot gegen den Streik

Beschäftigte jenseits der Textilbranche, wie etwa Staatsangestellte, solidarisierten sich mit dem Anliegen der Arbeiter. Dies schürte bürgerliche Revolutionsängste. Wie beim Landesstreik 1918 suchte man Zuflucht beim Militär. Auf Anfrage des Regierungsrats war der Bundesrat bereit, das Infanterieregiment 21 und eine Schwadron Kavallerie zum Ordnungsdienst in Basel aufzubieten.

Die vom Bund aufgebotenen Truppen sollten erst im Laufe des 1. August in Basel eintreffen. Schneller vor Ort waren Kräfte des Grenzschutzes, der ständig im aktiven Dienst die Landesgrenze in der Region bewachte. Am Nachmittag des 31. Juli zog man alle an der Grenze entbehrlichen Leute der Bewachungs-Kompanie 10 aus der Nordwestschweiz in der Kaserne Basel zusammen.

Grenzschutzttruppen, als rasch verfügbare aktive Einheiten, spielten nach dem Landestreik 1918 eine wichtige Rolle für den so genannten Ordnungsdienst. Bereits im Februar 1919 verfügte eine geheime Weisung des Generalstabs im Bedarfsfall deren Einsatz bei inneren Krisen. Man griff dabei auf Einheiten mit geringem Arbeiteranteil von ausserhalb betroffener Städte zurück.

Die Bewachungs-Kompanie 10 war zusammen mit dem Platzkommando und der Basler Polizei dem Befehl des angereisten Oberstkorpskommandanten Hermann Steinbuch (1863-1925) unterstellt worden. Mit diese Ordnungskräften wollte er entschlossen für Ruhe sorgen und die von Bürgerlichen erwarteten Putschversuche niederhalten, bis die vom Bund aufgebotenen Truppen in Basel eintrafen.

Am 31. Juli kam es zu Zusammenstössen mit dem Militär. Nach Ausschreitungen an Heuwaage und Centralbahnplatz sammelte sich auf dem Barfüsserplatz eine grössere Menschenmenge, die wiederholt von der Polizei vertrieben wurde. Am nahen Steinenberg stoppten Grenzschutzsoldaten einen Protestzug, wobei sie in die Luft schossen. Allerdings gab es Verletzte durch Querschläger.

1. August

Am Freitag dem 1. August verlagerte sich der Brennpunkt von Grossbasel nach Kleinbasel. An der Rebgasse bei der Burgvogtei (heute Volkshaus), dem Nervenzentrum des Streiks, und am Claraplatz versammelte sich am Vormittag zahlreiche Menschen. Jungburschen und Streikende rissen in der anstossenden Greifengasse das Pflaster auf um die Strasse nach Grossbasel zu blockieren.

Als sich ein mit Mannschaften beladener Lastwagen der Bewachungs-Kompanie näherte, wurde er dieser aus der Menge heraus mit einem Stein beworfen und kehrte um. Wenig später fuhr ein Lastwagen mit einer Abteilung Polizei von Grossbasel kommend über die Rheinbrücke um die blockierte Greifengasse freizumachen. Die Menge um die Barrikade lief daraufhin eilig auseinander.

Im nahen Kasernenhof wurden vier Lastwagen mit etwa 15 bis 20 Mann und einem Maschinengewehr pro Fahrzeug beladen. Die ersten drei Wagen standen unter dem Befehl eines Leutnants. Der vierte unter dem eines Wachtmeisters, der später zu Protokoll gab, dass der Kompaniekommandant vor der Abfahrt anordnete, dass auf Steinewerfer zu schiessen sei. Dann fuhren die Wagen los.

Die Lastwagen der Bewachungs-Kompanie waren meist zivile Transporter mit offener Ladefläche und einem schlichten Lattengeländer versehen. Darauf standen die Soldaten ohne nennenswerten Schutz, zusammengedrängt wie auf einem Podest, weil das MG 1911 am Heck mit Bedienung Munition und Kühlwasserkanister viel Platz beanspruchte. Die Männer fühlten sich wie rollende Zielscheiben.

Als die Laster beim Claraplatz die Greifengasse passierten, geriet die angespannte Lage ausser Kontrolle. Die Menge reagiert wütend auf das Erscheinen des Militärs. Der sozialdemokratische Regierungsrat Dr. Fritz Hauser (1884-1941) befand sich vor Ort und wurde Zeuge des Geschehens. Er sah wie aus einer Gruppe Jungburschen heraus ein Stein gegen die Fahrzeuge geworfen wurde.

einmuendung der greifengasse in den claraplatz (2019)

Blick vom Claraplatz auf die Einmündung der Greifengasse, wo am Vormittag des 1. August die Schüsse aus der Lastwagenkolonne fielen.

Schüsse an der Greifengasse

Bei den folgenden Untersuchungen der Vorfälle war wiederholt von Schüssen aus der Menge auf die Truppen die Rede. Was im Detail passiert ist wurde nie geklärt. Faktisch sind die einzigen Schussverletzungen des Geschehens von Armeewaffen bei Zivilisten verursacht worden. Die vielen erwähnten Schüsse aus Häusern und Menge scheinen keine Ordnungskräfte verletzt zu haben.

Wie Regierungsrat Hauser schilderte, sei nach dem von ihm beobachteten Steinwurf von den Truppen das Feuer auf die Menge eröffnet worden. Es wäre zuvor keine Warnung erfolgt, was dem Befehl des Kompaniekommandanten entspricht. Hauser befand sich in der zusammengedrängten Masse die unerwartet unter Beschuss geriet. Steine folgen, getroffene Menschen fielen zu Boden.

Oberleutnant Mattes auf dem ersten Laster schätzte, dass alleine seine Männer rund 30 Schuss abgefeuert hätten. Die Maschinengewehre der drei vorderen Wagen hätten ebenfalls begonnen zu schiessen, allerdings kein Serienfeuer sondern Einzelschuss. Panik griff um sich und die Leute begannen zu rennen. Auch auf den Lastwagen herrschte nicht die später oft beschworene Beherrschtheit.

Alleine die Tatsache dass der dritte Laster bei der Burgvogtei an der Rebgasse auf das Heck des voll besetzen zweiten Wagens vor ihm auffuhr und sich den Kühler einrammte, erzählt von aufgeregter Hektik. Die Vorbeifahrt war in raschem Tempo geschehen. Als die Kolonne Richtung Wettsteinplatz verschwunden war, blieben Verletzte und ein Toter auf dem Strassenpflaster zurück.

Der aus Österreich stammende Maurerpolier Franz Wöber war durch einen der Schüsse von den Lastwagen in den Kopf getroffen worden. Der Körper des fünffachen Familienvaters wurde in die Burgvogtei getragen, wo man der Polizei Meldung machte. Wenig später kam Hauptmann Dietrich der Sanitätstruppen und wurde eingelassen um Wöber zu untersuchen. Er stellte dessen Tod fest.

Dietrich wies die Anwesenden auf, den Leichnam in die Turnhalle auf dem Kasernenareal zu bringen, wo ein Lazarett eingerichtet sei. Die Jungburschen kündeten an, sie würden den gewaschenen Toten auf der Bahre in rote Tücher hüllen und von der Vereinsfahne begleitet zur Turnhalle tragen. Der Hauptmann brachte keinen Einwand dagegen vor. Zwischenzeitlich war weiteres geschehen.

Um Viertel vor Zwölf kam Fritz Hauser direkt vom Drama an der Greifengasse ins Rathaus und berichtete dem bürgerlich dominierten Regierungsrat von der Schiesserei. Die Streikleitung habe ihn gebeten darauf hinzuwirken, dass sich das Militär in seine Unterkünfte zurückziehe. Doch die Regierung war machtlos gegenüber der Eigendynamik der Geschehnisse auf der Strasse.

das volkshaus an der rebgasse (2019)

Das heutige Volkshaus an der Rebgasse 12-14, wo bis 1923 die Burgvogtei stand, die 1919 ein Zentrum der Arbeiterbewegung und Streikleitung war.

Der Tod von Frieda Nyffeler

Die Kolonne der Bewachungs-Kompanie wendete bei der Wettsteinbrücke und fuhr nun zurück Richtung Claraplatz. Oberleutnant Mattes bemerkte, dass die Leute auf seinem Wagen bei der Vorbeifahrt eigenmächtig auf die Fenster der Burgvogtei schossen. Nach einem kurzen Halt am geräumten Claraplatz fuhren die vier Lastwagen danach weiter über die Untere Rebgasse Richtung Kaserne.

Zum Ende der Rebgasse hin eilte die Hausfrau Frieda Nyffeler bei Nahen der Kolonne auf die Strasse, wohl um nachzusehen ob eines ihrer drei Kinder draussen sei. Oberleutnant Mattes auf dem ersten Laster wie auch Leutnant Büchler auf dem folgendem Wagen reagierten auf das Aufreissen der Haustür und das Hinausrennen der Frau mit hektischen Schüssen aus ihren Faustfeuerwaffen.

Mattes riss in der Schussabgabe seine Pistole nach unten als er erkannte dass es sich um eine Frau handelte. Sein Schuss ging weit unten in die Haustür ohne sie zu verletzten. Anders der Revolverschuss von Leutnant Büchler, der höher gezielt war, Fensterschutz so wie Schreibe der Tür traf und Splitter verursachte, die ein Ehepaar dahinter verletzten und Frieda Nyffeler töteten.

Mit der umgekommenen Mutter hatten mittlerweile bereits zwei Zivilisten ihr Leben verloren. Die nervös abgegebenen Schüsse auf Frau Nyffeler bezeugen, dass auch die Offiziere der Truppen auf den Lastwagen unter extremer Anspannung handelten. Sie waren keineswegs so beherrscht Herr der Lage, wie ihre Aussagen bei Untersuchung der Ereignisse hinterher es darstellten.

Umzug von der Burgvogtei zur Kaserne

Vor der Burgvogtei versammelte sich eine Mischung aus Demonstration und Trauerzug. An der Spitze die standen Jungburschen, welche die mit roten Tüchern bedeckte Leiche von Franz Wöber trugen. Die Fahne des Vereins wurde von Fritz Sulzbachner (1897-1978) getragen. Als Zentralkassier der Sozialistischen Jugendorganisation bewegte er sich im Zentrum des weiteren Geschehens.

Die Leiche Wöbers sollte mit diesem Umzug zur Turnhalle auf dem Kasernengelände gebracht werden, wie von Sanitätshauptmann Dietrich angeordnet. Laut Sulzbachner umfasste der Zug rund 300 Leuten. Durch Rebgasse und Klybeckstrasse erreichte er die Turnhalle, deren Tür aber verschlossen war. Offiziere und Mannschaften der zurückgekehrten Kolonne waren derzeit beim Mittagessen.

Der Zug begab sich von der verschlossenen Tür an der Klybeckstrasse zum Haupttor an der Kasernenstrasse, um dort das Gelände betreten zu können und an die Turnhalle zu gelangen. Dieser Hofzugang wurde von zwei Schildwachen beaufsichtigt, die den Befehl hatten niemanden eintreten zu lassen. Angesichts des nahenden Zuges schlossen sie eilig das Gittertor des Zuganges.

die turnhalle bei der kaserne (2019)

Die Turnhalle an der Klybeckstrasse bei der Kaserne, wo am 1. August ein Umzug von Streikenden die Leiche von Franz Wöber hat hinbringen wollen.

Die beiden Wachen waren zu diesem Zeitpunkt alleine. Zu ihrer Unterstützung gab es eine Pikettmannschaft von 4 bis 6 Mann in einem Wachtlokal in der Nähe. Ansonsten waren Mannschaften und Kader der Truppe beim Mittagessen in der Kaserne. Vor dem Tor rief Fritz Sulzbachner mit seiner Fahne den Wachen zu, sie sollten das Tor öffnen, denn sie brächten einen Toten.

Die Wachen verweigerten dem Zug das Betreten des Hofes. Lediglich den Bahrenträgern mit der Leiche wurde ein Zutritt angeboten. Dies auch, weil die Schildwache in dem Moment die Verantwortung für die Armeewaffen im Kasernenhof hatte. Zu Pyramiden zusammengestellt befanden sich dort um die 50 geladene Gewehre so wie die vier geladenen Maschinengewehre der Lastwagen.

Die Diskussion am Gittertor verschärfte sich. Die Menschenmenge war erbittert, denn es war nicht nur einer der ihren von der Armee erschossen worden. Nun verwehrte das Militär ihrem toten Genossen auch noch das würdige Geleit. Zwei Seiten standen sich am Hofzugang gegenüber. Vergebens versuchte ein Sanitätssoldat schlichtend einzugreifen. Es wurde am Gitter gerüttelt.

Die Wachen hoben ihre Gewehre und richteten sie drohend auf die Menschen vor dem Tor. Dies entfachte noch mehr Wut, die sich in der Menge begann Luft zu machen. Der Jungbursche und spätere Nationalrat Hermann Leuenberger (1901-1975) trat ans Gitter, entblösste seine Brust mit der provozierenden Aufforderung an die Wachen, dorthin zu schiessen wenn sie schiessen wollten.

Schüsse am Kasernentor

Gegen Zwölf Uhr gerieten die Dinge am Gittertor ausser Kontrolle. Es war deutlich, dass die beiden Wachen überfordert waren. Bei den Lastwagen im Kasernenhof beobachtete ein Korporal beunruhigt das laute Geschehen aus der Distanz und schoss in die Luft um das Pikett im Wachtlokal zu alarmieren. Womöglich war dieser Alarmschuss der Auslöser für das kommende Blutvergiessen.

Ein lauter Schuss war gefallen, den wahrscheinlich weder die Schildwachen noch die Pikettmannschaft im Stress des Augenblicks richtig zuordnen konnten. Das Pikett griff aufgeschreckt nach seinen Waffen und rannte aus dem Wachtlokal herbei. Bei den späteren militärgerichtlichen Untersuchungen war auch hier oft die Rede von Schüssen aus der Menge auf die Truppen.

Ob solche Schüsse von Zivilisten abgegeben worden waren ist bis heute unklar. Wie bei den Vorgängen an der Greifengasse, kamen auch hier am Ende nur Zivilisten durch Schüsse zu Schaden. Die Wehrmänner des Piketts rannte herbei und sahen die zornige Menschenmenge die ans Torgitter drängte. Ohne einen eigentlichen Befehl abzuwarten, eröffneten sie das Feuer auf die Leute.

Ein Schreck fuhr durch die Menge, die panisch davonrannte als Gewehrfeuer einsetzte. Geschossen wurde hier durch das enge Schussfeld eines Zugangstores in eine dichte Menschenmasse. Es war praktisch unmöglich, niemanden zu treffen. Aus dem Speisesaal kam Oberleutnant Mattes angerannt, mit geschwenkten Armen das Einstellen des Feuers befehlend. Nach einem Dutzend Schüsse wurde es still.

kaserneneingang an der kasernenstrasse (2019)

Der Kaserneneingang an der Kasernenstrasse, wo am 1. August die Schüsse der Pikettmannschaft drei Menschenleben forderten.

An der Kasernenstrasse lagen Verletzte und drei Tote. Unter ihnen der Schuhmacher und zweifache Vater Karl Fässler so wie das Dienstmädchen Julia Eschmann. Oder die Schneiderin Rosa Hunziker (1898-1919). Die ledige junge Frau lebte zusammen mit ihrer verwitweten Mutter. Seit der Vater an Tuberkulose gestorben war, brauchte die Mutter die Unterstützung ihrer fünf Kinder.

Zwei Projektile töteten die junge Frau, deren Mutter 1921 bis vor Bundesgericht gelangte. Ihre Klage wurde abgeweisen. Die Ordnungstruppen im aktiven Dienst wurden in diesem Fall von jeder Schuld freigesprochen. Zudem sei ungeklärt, ob Julia Eschmann zufällig oder willentlich vor Ort war, und ob sie überhaupt durch Schüsse der Truppen umgekommen sei, oder durch solche anderer Herkunft.

Die Urteilsbegründung befremdet. Alleine weil fast zwei Jahre nach den Ereignissen noch nicht abgeklärt worden war, welche Art von Projektilen Julia Eschmann den Tod gebracht hatte. Prinzipiell wurden die Schüsse in eine zivile Menschenmenge nicht in Frage gestellt. Es erstaunt unter solchen Vorzeichen wenig, dass der 1. August 1919 Verbitterung in der Arbeiterschicht zurückliess.

Das Ende des Streiks

Der Schock über die Schüsse am 1. August sass tief. In den folgenden Tagen gab es keinen Menschenaufläufe mehr. Mittlerweile waren die von Bern aufgebotenen Truppen eingetroffen. Die Bewachungs-Kompanie wurde damit verstärkt durch die Baselbieter Infanterie-Bataillone 52 und 53, das Aargauer Infanterie-Bataillon 46 so wie zweier Kompanien Mitrailleure und einer Kompanie Sanität.

Oberstkorpskommandant Steinbuch hatte Basel mit seinen Ordnungstruppen unter Kontrolle. Am 2. August wurde die Redaktion des Arbeiterorgans "Vorwärts" vom Militär besetzt. Das Verbot öffentlicher Ansammlungen wurde von Basel-Stadt auf die Nachbargemeinden in Basel-Landschaft ausgedehnt. Den Streikenden war es unmöglich geworden, sich weiterhin zu versammeln.

Auch die Streikposten, welche vor bestreikten Betrieben dafür sorgten dass niemand die Arbeit wieder aufnahm, mussten vor den Truppen weichen. Bestreikte öffentliche Betriebe wie Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerk wurden durch die Bürgerwehr unter dem Schutz der Armee in Gang gehalten. Ebenso der Trambetrieb und die Strassenreinigung. Der Streik verlor seine Kraft.

Führende Köpfe der Arbeiterbewegung wurden festgenommen und kamen in Untersuchungshaft. Am 4. August brach die Streikfront. Obwohl der Arbeiterbund die Fortsetzung des Streiks beschloss, nahmen die meisten Staatsangestellte an diesem Tag ihre Arbeit wieder auf. Am 5. August folgten viele Arbeiter. Der Lohnausfall war für ihre Familien oft nicht länger tragbar.

Am 8. August wurde Streikabbruch beschlossen; am 9. wurde wieder gearbeitet. In den Firmen folgte eine Entlassungswelle unter jenem Personal das beim Streik aktiv war. Mitglieder der Streikleitung und Sympathisanten wurden vor Gericht gestellt. 5 Menschen waren gestorben und etwa 50 verletzt. Mehr als beim Landesstreik 1918. Damit klang der Generalstreik von Basel bitter aus.

Zusammenfassung

In der vom Ersten Weltkrieg verschonten Schweiz vertiefte sich in den Kriegsjahren der Graben zwischen Arm und Reich. Während Industrieunternehmen als Armeelieferanten oder Exporteure Gewinne machten, litt ihre Arbeiterschaft vielfach unter steigenden Kosten. Die oft niederen Löhne fingen die Teuerung nicht auf und Unzufriedenheit breitete sich aus.

Ausdruck der Misstände waren der nationale Landesstreik im November 1918 und in Basel im Juni selben Jahres Hungerkrawalle. Unter dem Eindruck revolutionärer Umstürze im Ausland fürchteten bürgerliche Kreise Ähnliches in der Schweiz. Um dies zu verhindern, stützte man sich auf die Armee, die revolutonäre Bestrebungen im Keim ersticken sollte.

In Basel erkalierte ein Streit um Lohn und Arbeitszeit im Textilunternehmen Clavel & Lindenmeyer im Juli 1919 zur Konfrontation zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber. Diese führte so weit, dass das Aktionskomitee der Arbeiterschaft auf 31. Juli einen Generalstreik für Basel ausrief. Daraufhin wurden Truppen zum Ordnungsdienst gegen den Streik aufgeboten.

Nach ersten Zusammenstössen zwischen Militär und Polizei am 31. Juli entglitten die Geschehnisse am 1. August jeglicher Kontrolle. In Kleinbasel um die Burgvogtei, dem Sitz der Arbeiterbewegung, sammelten sich Menschenaufläufe und an der Greifengasse wurde eine Barrikade errichtet. Polizei und Militär gingen dagegen vor. Es kam zu Strassenkämpfen.

Am Claraplatz eröffneten Truppen von fahrenden Lastwagen herab das Feuer auf die Menge, nachdem sie mit Steinen beworfen worden waren. Ein erster Zivilist starb dabei. Wenig später wurde auf der Rückfahrt der Lastwagen zur Kaserne an der Rebgasse eine unbeteiligte Frau im Eingang ihres Hauses irrtümlich durch Schüsse des Militärs getötet.

Auf Anweisung eines Offiziers brachten Streikende den ersten Toten in einem Umzug zur Kaserne, wo ein Lazarett in einer Turnhalle eingerichtet worden war. Am Kasernentor verweigerten die Wachen dem Umzug das Betreten der Areals und es kam zur Eskalation. Diese mündete darin dass weitere herbeigeeilte Wachen auf die Zivilisten schossen.

Mit dem Mann und den beiden Frauen die dabei an der Kasernenstrasse umkamen hatten insgesamt fünf Personen ihr Leben verloren. Zudem wurden rund 50 Personen durch die Ausschreitungen am 31. Juli und am 1. August verletzt. Es hatte mehr Opfer gegeben als beim Landesstreik 1918. Die Streikenden traf die Härte der Armee völlig unerwartet.

Mit dem Eintreffen zusätzlicher Truppen in Basel gewannen die Ordnungskräfte Überhand und nahmen dem Streik mit restiktiven Massnahmen in den kommenden Tagen seine Kraft. Nachdem immer mehr Streikende die Arbeit wieder aufnahmen, wurde am 8. August der Abbruch des Streiks beschlossen. Entlassungen und Prozesse bildeten sein Nachspiel.




Beitrag erstellt 31.07.19

Quellen:

Robert Heuss, Basler Polizei - 1816-2016, herausgegeben von der Kantonspolizei Basel-Stadt, Schwabe Verlag, Basel, 2016, ISBN 978-3-7965-3545-1, Seiten 167-174

Fritz Grieder, "Zehn heisse Tage - Aus den Akten des Regierungsrates zum Basler Generalstreik 1919", publiziert im Basler Stadtbuch 1970, herausgegeben von Hans Birkhäuser, Fritz Grieder, Adolf Portmann und Marc Sieber, Verlag Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1969, Seiten 108 bis 141

Hermann Leuenberger, "Erinnerungen an den Basler Generalstreik 1919", publiziert im Basler Stadtbuch 1969, herausgegeben von Fritz Grieder, Valentin Lötscher und Adolf Portmann, Verlag Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1968, Seiten 173 bis 184

Josef Mooser, Beitrag "Konflikt und Integration - Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in der Wohlfahrtsstadt", publiziert in Basel - Geschichte einer städtischen Gesellschaft, herausgegeben von Georg Kreis und Beat von Wartburg, Christoph Merian Verlag, Basel, 2000, ISBN 3-85616-127-9, Seiten 249 bis 251

Hanspeter Schmid, Generalstreik 1919 - Krieg der Bürger, Rotpunktverlag, Zürich, 1980

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