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Der Spitalgottesacker St.Johann
© by altbasel.ch

Elsässerstrasse (St.Johanns-Park)

Tram 11 - St.Johanns-Tor

Bus 30 - Johanniterbrücke


Ein neuer Friedhof für das Spital

Der Wunsch die zu engen und überfüllten Kirchhöfe des Mittelalters durch zeitgemässe Friedhöfe zu ersetzen, brach sich im 19. Jahrhundert machtvoll Bahn. Von 1817 bis 1833 wurden drei sogenannte Gottesäcker eröffnet - Friedhöfe ohne Kirche. Das Spital bei der Barfüsserkirche nutzte damals einen Teil des Kirchhofs von St.Elisabethen für seine Bestattungen.

Der zu klein gewordene Begräbnisplatz bei der Kirche St.Elisabethen war 1817 mit der Eröffnung des Gottesackers St.Elisabethen entlastet worden. Dennoch wurden weiterhin Verstorbene auf ihm bestattet. Als im Jahr 1843 Rechte und Pflichten um das Bestattungswesen von der Kirche an die Stadt übergingen, wurde die Schliessung des überbelegten Kirchhofes verfügt.

Da das Spital nun seine Toten nicht mehr zu St.Elisabethen beisetzen konnten, wo früher soziale Aussenseiter und Hingerichtete ihre letzte Ruhe fanden, wurde ein neuer Platz gesucht. Dies war umsomehr nötig, weil das Spital im Jahr 1842 von der oberen Freienstrasse in die Neue Vorstadt (heutige Hebelstrasse) in den Marktgräflerhof umgezogen war.

friedhofsplan

A - heute Elsässerstrasse mit Tramlinie 11

B - heute St.Johannsring zur Schiffsanlegestelle St.Johann

C - heute Elsässerrheinweg (1845 Rheinufer)

1 - Nordwestliches Viertel des Gottesackers, 1845 als erstes belegt

2 - Nordöstliches Viertel des Gottesackers, als nächstes belegt

3 - Südwestliches Viertel des Gottesackers, als drittes belegt

4 - Südöstliches Viertel des Gottesackers, 1868 als letztes belegt

5 - Veterinärvilla des ehem. Schlachthofes (heute Elsässerstr.4)

6 - öffentliche Bade- und Waschanstalt von 1905 (heute Elsässerstr.2)


Es galt einen freien Platz möglichst nahe des neuen Spitals zu finden. Dort sollten verstorbene Patienten begraben werden können. Hierzu sei bemerkt, dass im Spital überwiegend Leute aus unteren Schichten verstarben. Wer es sich leisten konnte, liess den Doktor nach Hause kommen um sich dort pflegen zu lassen und um auch dort im Kreis der Lieben zu sterben.

Viele Patienten und Patientinnen gehörten der Arbeiterschicht an. Sie waren aus der Fremde gekommen um in Basel ihrem Broterwerb nachzugehen. Wie im Leben so waren sie nach Krankheit und Tod auch als Verstorbene quasi abgesondert. Lagen sie früher auf dem selben Friedhof wie Hingerichtete und Ausgestossene, so ruhten sie nun immer noch abseits von allem.

Einst Land der Johanniter

Vor der Stadtmauer beim St.Johanns-Tor lag am Rheinufer ein Stück Land das dem Orden der Johanniter gehörte. Am 1. Dezember des Jahres 1806 verkauften die Johanniter das Grundstück, welches sich vom Stadtgraben bis zum Reberschen Landgut erstreckte. "2 Jucharten, 53 Ruthen und 30 Schuh" gingen damit an den neuen Eigentümer Dagobert Gysendörfer.

Auf dem Areal waren im Jahr 1799 französische Soldaten beigesetzt worden. Es handelte sich um Verstorbene aus einem Lazarett, die man zuvor nackt in eine grosse Grube auf dem Quartierfriedhof St.Johann (St.Johanns-Platz vor dem heutigen Schulhaus) warf. Die Bewohner des Quartiers wollten jedoch so ein würdeloses Massengrab nicht auf ihrem Gottesacker.

In der Folge begrub man die Soldaten lieblos auf der besagten Wiese vor der Stadtmauer. Dieses Land wurde im Jahr 1839 von einem gewissen Friedrich Kaufmann erstanden, der den Titel "Dampfschiffahrtsagent der 'Adler' auf dem Rhein" führte. Aus seiner Hand erwarb schliesslich die Stadt Basel das Areal um dort den neuen Friedhof des Spitals anzulegen.

Ein Ort ohne Standesunterschiede

Die erste Bestattung galt einen Baselbieter. Im hohen Alter von 90 Jahren und sieben Monaten war der frühere Papierer Heinrich Erb von Rothenfluh gestorben. Er sollte als erster die letzte Ruhe auf dem neuen Friedhof des Basler Spitals finden. Am Freitag dem 14. November des Jahres 1845 begann um 15.00 Uhr die Feier zur Einweihung des Gottesackers.

Der Zeremonie wohnten unter anderem der Spitalmeister mit Gattin, der Oberschreiber und die beiden Geistlichen des Spitals bei. Spitalpfarrer Johannes Hess äusserte die Hoffnung, dass an diesem Ort Konfessionen und Stände aufgehoben sein mögen. Im Leben oft schmerzliche Unterschiede seien im Tode ohne Geltung. Es sei ein Friedhof in des Wortes schönstem Sinne.

Zu jener Zeit war Carl Gustav Jung (1794-1864) aus Mannheim Spitalarzt in Basel. Er war im Jahr 1822 in die Stadt gekommen und wurde hier Professor der Chirurgie, Anatomie und der "Entbindungskunst" (der rührige Arzt ist übrigens nicht identisch mit dem gleichnamigen Psychiater). Unter seiner Leitung wurden die Todesfälle im Spital gewissenhaft dokumentiert.

ostecke des ehemaligen spitalfriedhofs

Südostecke des ehemaligen Gottesackers im heutigen St.Johanns-Park (Nr.4 im Plan oben) mit ungestörten Gräbern bis 1868. Rechts hinten die öffentliche Bade- und Waschanstalt von 1905 und das St.Johanns-Tor.

Die Verstorbenen des Spitals durchliefen vor ihrer Bestattung vielfach anatomische Untersuchungen. Aufschlussreich waren dazu die Ausgrabungen 1988/89 auf dem Gelände des ehemaligen Gottesackers. Dabei traten auch Dinge an den Tag, die man ehedem für alle Zeiten vergraben wähnte. Bei zahlreichen Skeletten fehlten zum Beispiel einzelne Partien.

Jenseits jeder Pietät

Man hatte besonders interessante krankhafte Abnormitäten auf dem Seziertisch entfernt und zum Studium zurückbehalten. Zahlreiche Schädel waren aufgesägt worden, um Einblick in das Innere der Köpfe nehmen zu können. Neben den Spuren medizinischer Untersuchungen kamen aber auch Schludereien jenseits jeglicher Pietät an das Tageslicht.

Im Falle eines 50 Jahre alten Küfers aus Basel wurde der Sarg beim Begräbnis verkehrt herum ins Grab versenkt. Als man seine sterblichen Überreste ausgrub lag der Verstorbene mit dem Gesicht nach Unten im Boden, was nicht verwundert bei den schmucklosen rechteckigen Särgen. Dazu gesellte sich, dass der Leiche des Mannes Füsse und Unterschenkel fehlten.

Anderorten abgesägte Körperteile, wohl weniger interessante Partien, wurden einfach der nächsten verstorbenen Person in den Sarg gelegt. Im Brustraum einer Leiche wurden gar Abfälle, vermutlich aus dem Seziersaal, entsorgt - Kalkreste und Splitter von Porzellantellern. Im Sarg eines 74jährigen Mannes entsorgte man ein ungeborenes Kind.

Mutter und Kind im selben Grab

In einem Fall lag ein 29jähriger Berner Pflästerer im Grab einer 26jährigen Frau, die eigentlich dort mit ihrem ungeborenen Kind bestattet sein sollte. Da der Pflästerer und die Schwangere am selben Tag vorstorben waren, wurden wahrscheinlich ihre einheitlichen schlichten Särge aus Tannenholz im Spital verwechselt und unter falschen Namen begraben.

In jenen Zeiten waren Todesfälle während einer Schwangerschaft oder einer Geburt häufiger als heute. Daher fanden sich in der Gräbern auch immer wieder schwangere Frauen oder Frauen die bei der Geburt gestorben waren. In einigen Fällen fanden sich Skelette verstorbener Mütter, denen ihre toten Neugeborenen zur Bestattung sorgsam in den Arm gelegt wurden.

Zwischen August 1988 und Februar 1989 wurden 1061 Bestattungen auf dem ehemaligen Spitalgottesacker freigelegt. Ein Teil der Bestattungen wurde detailiert ausgewertet. Besonders hilfreich war dabei der Umstand, dass zu vielen Todesfällen auf Krankengeschichten und Einträge im Sterberegister des Spitals zurückgegriffen werden konnte.

Tote bekommen ihre Namen zurück

Diese Informationen, kombiniert mit dem im Laufe der Ausgrabung erstellten Gräberplan, machten es möglich dass man 90% der freigelegten Bestattungen idendifizieren konnte. Menschen die vor über 120 Jahre verstorben waren und längst ohne Grabstein unter der Erde ruhten. Sie erhielten nunmehr ihre Namen und Leidensgeschichten zurück.

Von 164 Verstorbenen waren die Todesursachen aus Akten bekannt. Über ein Viertel dieser Menschen starben an Tuberkulose. Bei zirka einem Fünftel war die Todesursache Typhus. Unter den Verstorbenen mit Krebs waren doppelt soviele Frauen wie Männer. Mit der Eröffnung des neuen Gottesackers Kannenfeld wurde der Spitalgottesacker geschlossen.

Mit der letzten Beerdigung vom 20. Juni 1868 waren auf dem Spitalgottesacker zu St.Johann insgesamt 2561 Bestattungen in 23 Jahren vorgenommen worden. Die Ruhe einiger Toten wurde bereits im Jahr 1869 beim Bau des Schlachthofes gestört. Viele Gräber mussten verlegt werden, so hob man ein langes Massengrab auf dem Mittelweg parallel zur Elsässerstrasse aus.

westecke des ehemaligen spitalfriedhofs

Nordhälfte des ehemaligen Gottesackers zum Rhein hin (Nr.1 und 2 im Plan oben). In diesem Teil des Friedhofs wurden 1988/89 die meisten der ausgegrabenen 1061 Gräber freigelegt.

Auf dem erwähnten Mittelweg wurden 277 Gräber umgebettet. Die Bestattungen lagen eng neben- und übereinander. Als man im Jahr 1876 den St.Johann-Rheinweg sanierte, verbot der Regierungsrat das Abtragen von Erde vom alten Gottesacker, aus Rücksicht auf die vielen jungen Gräber auf diesem Friedhof. Die Erde musste von einer nahen Schanze geholt werden.

Totenruhe abgelaufen

Ende 1881 mass man der Totenruhe weniger Bedeutung bei. Mit dem Bau der Johanniterbrücke musste das Niveau der Feldbergstrasse in Kleinbasel jenem des höher gelegenen Brückenkopfes angepasst werden. Für die nötigen Aufschüttungen wurde es erlaubt, Erde vom Gottesacker zu verwenden. Es kamen menschliche Überreste zutage, die zwölf Kisten füllten.

Die Kisten überführte man auf den 1868 eröffneten Gottesacker Kannenfeld um sie dort beizusetzen. Diese Chance ergriff Professor Doktor Julius Kollmann um sich einige interessante menschliche Schädel zu sichern. Mit dem Segen des Sanitätsdepartements holte am 16. Februar 1882 der Abwart der Anatomie für den Professor besagte Totenschädel ab.

Auf den 12. Juni 1886 wurde der alte Gottesacker des Spitals der Pflanzschule für die Öffentlichen Promenaden überlassen. Fortan sollten über den Gräbern Pflanzen für Basels Grünanlagen gezüchtete werden. Im Jahr 1888 wurde das erste Treibhaus dort errichtet. Für rund hundert Jahre standen nun auf dem einstigen Friedhof die Anlagen der Stadtgärtnerei.

Gärtnerei wird Park

Nachdem die Stadtgärtnerei im Jahr 1985 nach Brüglingen verlegt worden war, gestattete das Baudepartement die Nutzung der alten Gärtnerei durch Kulturschaffende. Dauerhaft wollte man aber den Ort nicht als autonome Heimstätte alternativer Kultur dulden. Das Areal der Alten Stadtgärtnerei wurde nach einem Volksentscheid im Sommer 1988 polizeilich geräumt.

Unter grossen politschem Druck sollte aus der alten Stadtgärtnerei möglichst rasch eine Parkanlage gemacht werden. Daher blieb den Archäologen nur wenig Zeit um möglichst viele Bestattungen zu untersuchen, die bei den Erdarbeiten an den Tag traten. Wie so oft musste sich die Bodenforschung dem Druck von Zeitplänen beugen, anstatt die notwendige Zeit für ihre Arbeit zu bekommen.

Unter den Helfern bei den Ausgrabungen fanden sich übrigens auch Aktivisten des vormaligen alternativen Kulturparks. Strebten sie einige Monate zuvor noch über den Gräbern nach der Verwirklichung ihrer freigeistigen Ideale, so halfen sie nun dabei mit den längst vergessenen Toten des Spitalfriedhofs ihre Namen und Leidensgeschichten zurückzugeben.

Nach mehreren Jahren der Arbeit konnte am 7. Mai 1992 der fertig gestaltete St.Johanns-Park der Öffentlichkeit übergeben werden. Vom alten Spitalgottesacker zu St.Johann ist nichts übrig geblieben - ausser wenigen hundert Beigesetzten die nicht durch den Umbau vertrieben wurden. An verschiedenen Stellen des Parks ruhen sie bis heute weiterhin ungestört.




Beitrag erstellt 08.12.04 / Layout angepasst 22.07.10

Quellen:

Thomas Aebi, Rolf d'Aujourd'hui und Hansueli F. Etter "Ausgrabungen in der Alten Stadtgärtnerei, Elsässerstrasse 2a", publiziert im Jahresbericht 1989 der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel Stadt, 1991, herausgegeben von Rolf d'Aujourd'hui, Basel, ISBN 3-905098-10-5, Seiten 206 bis 249

Paul Koelner, Basler Friedhöfe, Verlag der National-Zeitung, Basel, 1927, Seite 70

Marianne Lörcher, "Der äussere St.Johann-Gottesacker zu Basel - was Frauenbestattungen erzählen..." publiziert im Jahresbericht 1999 der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel Stadt, herausgegeben von der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel Stadt, Basel, 2000, ISBN 3-905098-29-6/ISSN 1424-4535, Seiten 147 bis 214

Christoph Ritter, "Geschichte des Geländes", publiziert in Erholung und Natur im St.Johanns-Park, 2000, herausgegeben vom Baudepartement Basel-Stadt - Stadtgärtnerei und Friedhöfe), o.V., Basel, 2000, Seiten 16 bis 23

Artikel "Einweihungs-Feierlichkeit des Spital-Gottesackers", publiziert in Allgemeines Intelligenzblatt der Stadt Basel, Nummer 196 1845 (13. November 1845) Seite 868 (Seite 2 der Ausgabe)

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